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Legionen des Todes: Roman

Legionen des Todes: Roman

Titel: Legionen des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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Augen etwas sehen konnte, oder wenn er sich zu stark auf das konzentrierte, was er sah.
    Die Sitzbank zwischen seinen Beinen begann zu vibrieren; der Wind ließ nach. Mare lehnte sich etwas nach rechts, und das Motorrad neigte sich zur Seite. Dann richtete er sich wieder auf und entspannte sich merklich, während sie langsamer wurden und schließlich ganz zum Stehen kamen. Das Tuckern des Motors hallte blechern, als stünden sie unter einem metallenen Vordach, dann erstarb das Geräusch abrupt.
    Ray stieg ab und hörte, wie Mare den Seitenständer ausklappte.
    Einer nach dem anderen verstummten auch die anderen Motoren, jemand gähnte lautstark. Metall klapperte auf Metall, als einer aus ihrer Gruppe den Zapfhahn aus dem Tankstutzen eines Autos zog. Zwei Tankdeckel quietschten, während jemand sie aufschraubte. Gedankenversunken ging Ray weg von den anderen, um sich ein wenig die Beine zu vertreten, und knallte mit dem Knie gegen die Stoßstange des Autos, das neben der Zapfsäule stand. Der Fahrer, dessen Gestank unverkennbar in der Luft lag, musste mitten während des Tankens von den Moskitos überrascht worden sein.
    »Warum seht ihr nicht nach, ob es da drinnen was zu trinken gibt?«, meinte Adam.
    »Irgendwelche Wünsche?«, fragte Evelyn.
    »Alles, was flüssig ist.«
    Ray brauchte ein wenig Abstand. Die Stimmen lenkten ihn ab. Er war sicher, dass er kurz davorstand, das Geheimnis zu enthüllen, nach dem er suchte, und er musste seinen Gedankengang zu Ende bringen, bevor dieser sich wieder auflöste wie zuvor die Sterne. In einer geraden Linie ging er von den anderen weg, bis er ihre Stimmen zwar noch hören, die Worte aber nicht mehr verstehen konnte.
    Eine angenehme Wärme liebkoste sein Gesicht, als die aufgehende Sonne die Kälte der Nacht und ihre unsichtbaren Bewohner vertrieb. Er drehte sein Gesicht in die Richtung, aus der die warmen Strahlen kamen, stieß einen langen Seufzer aus und versuchte, seinen Körper zu entspannen und die endlose Flut scheinbar unbeantwortbarer Fragen aus seinem Bewusstsein zu verdrängen. Spür einfach nur die Wärme, riech den Duft der Kiefern . Er ignorierte den schwachen Geruch nach brennendem Holz. Der existierte nur im Hier und Jetzt, in diesem Moment, in dem das goldene Gestirn sein Gesicht küsste und der Wind sich ehrfürchtig vor dem Wunder seines Erscheinens zurückzog.
    Ray lächelte, als die undurchdringliche Dunkelheit in seinem Geist sich ein wenig aufhellte. Der Himmel tauchte vor ihm auf, an dessen gezacktem unteren Rand die Baumwipfel sanft hin und her schwankten. Ein von hellen Tentakeln durchzogenes Grau ergoss sich über den Himmel, in dessen Zentrum der gleißend weiße Halbmond der aufgehenden Sonne stand.
    Ray saugte alles in sich ein, schwelgte im Augenblick. Das Geheimnis war entschlüsselt, doch wollte er darüber jetzt nicht nachdenken, wollte es nicht sogleich wieder weganalysieren. Er wollte es einfach nur genießen, selbst wenn es nur für wenige Momente anhalten sollte.
    Er genoss die Sonne, tief berührt von ihrer Herrlichkeit. Keine Gedanken. Keine Geräusche. Nur diese himmlische Scheibe, die sich würdevoll über der Baumlinie im Osten erhob.
    »Hey, Ray!«, rief Mare. »Kommst du jetzt, oder was?«
    »Nur eine Sekunde noch«, erwiderte Ray und machte im Geist ein Foto für seine Erinnerung, bevor er zu den anderen ging, die bereits bei ihren vollgetankten Motorrädern standen und auf ihn warteten.

VIII
     
    Phoenix wusste nicht genau, wonach er suchte, aber er war sicher, dass er es erkennen würde, sobald er es sah. Er rechnete zwar nicht mit einem Hinweisschild mit Neonleuchtschrift darauf, aber der Pfad des Blutes würde unverkennbar sein. Dieser Name weckte falsche Erwartungen. Auf keinen Fall konnte es sich dabei um einen Weg handeln, der tatsächlich mit Blut markiert war. Phoenix stellte sich einen dunklen Durchgang zwischen überhängenden Bäumen vor, die ihn wie ein aufgerissenes Haifischmaul bewachten. Ein kalter Hauch würde ihnen daraus entgegenwehen, besudelt mit dem Gestank des Todes. Vielleicht gab es einen kleinen Wegweiser am Rand des Highways, der auf einen landschaftlich reizvollen Spazierweg hinwies, möglicherweise sogar von irgendeiner historischen Bedeutung, oder vielleicht handelte es sich auch um eine verfallene Eisenbahnstrecke, an die nur noch ein verrosteter Eisennagel oder eine vermoderte Gleisschwelle hier und da erinnerten, der Boden verwildert, die Schienen längst abtransportiert. Er hasste es, darüber

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