Legionen des Todes: Roman
er sich, warum er es nicht getan hatte. Niemand hätte ihn aufhalten können. Sobald sie alle um die Feuerstelle herum eingeschlafen waren, hätte er sich nach draußen schleichen und hinaus in die Nacht schwimmen können. Hatte er ihnen ersparen wollen, seine aufgeblähte Leiche am Strand angespült zu finden? Nein. Er wollte sie nicht verletzen, aber der Anblick von Leichen war nichts Neues mehr für sie, schon gleich gar nicht der von toten Freunden. Warum also …?
Jake .
Der kleine Junge war ihm keine Sekunde lang von der Seite gewichen. Er hatte stets direkt neben ihm geschlafen, manchmal auf ihm, jede Nacht. Jeden Morgen, wenn Ray aufwachte, war er da gewesen, hatte seine Hand gehalten, jeden Tag, den ganzen Tag.
Ray hob den Kopf und schaute über Mares Schulter auf das Motorrad, auf dem Jake saß, seine kleinen Arme um Evelyn geschlungen und seinen Kopf an ihren Rücken gepresst, als versuche er zu schlafen.
»Ich denke, jetzt sind wir quitt«, sagte er, als ihm klarwurde, dass der kleine Junge ihm das Leben gerettet hatte. Vielleicht nicht auf ganz so dramatische Weise, wie er das seine gerettet hatte, aber trotzdem. Ray liebte diesen kleinen Kerl. Einen Moment lang glaubte er sogar, Tränen auf seinen Wangen zu spüren.
»Hast du was gesagt?«, rief Mare ihm durch das Brummen der Motoren und das Tosen des Windes zu.
Ray lächelte und beugte sich nach vorn. »Willst du mich mal fahren lassen?«
»Nie im Leben!«
»Na, komm schon.«
Mare schüttelte nur den Kopf. Ray war nicht sicher, ob er sich wirklich hinter den Lenker setzen würde, wenn er die Gelegenheit dazu bekäme, doch jetzt, in diesem Moment, fühlte er sich unbesiegbar. Das niederschmetternde Gefühl, nutzlos zu sein, war wie weggeblasen, und zum ersten Mal seit einer langen, langen Zeit kam der alte Ray wieder hinter der dunklen Wolke zum Vorschein, die seit Tinas Tod über ihm gehangen hatte … geliebte Tina. Bei Gott, wie er sie vermisste.
Links von sich sah er etwas aufblitzen, als zwinkerte ihm jemand von weit weg zwischen den verkohlten Baumstümpfen unter dem Verhau aus heruntergefallenen Ästen hindurch zu. Zuerst dachte er, die glänzende Oberfläche wäre ein Fluss, aber die Ränder waren viel zu scharf und die Kurven viel zu regelmäßig, als dass es sich um das Ufer eines Wasserlaufs hätte handeln können. Der Pfad machte eine Linkskurve, und hinter der Biegung hatte Ray einen weit besseren Blick über das Feld aus zersplitterten Baumstämmen, deren Kronen abgebrochen und den dahinterliegenden felsigen Abhang hinuntergerollt waren, dorthin, wo er jetzt eindeutig einen Highway erkannte. Die weißen Punkte, die er zunächst für Lichtreflexe auf den Wellen gehalten hatte, waren in Wirklichkeit im Asphalt eingeschlossene Kieselsteine, die sich in der Sonne aufgeheizt hatten; diese Sonne würde bald hinter den Bergen am Horizont versinken. Auf glattem Asphalt zu fahren wäre eine nette Abwechslung. Nach den vielen Stunden auf dem steinigen Pfad fühlte sein Hintern sich an wie ein einziger großer Bluterguss. Vielleicht könnten sie sogar etwas Zeit gutmachen.
Der Hügelflanke folgend, bog der Pfad wieder nach rechts ab, und der Highway verschwand aus Rays Blickfeld. Er schaute weiter in die Richtung in der Hoffnung, den Highway noch einmal genauer in Augenschein nehmen zu können, bevor er die Sache zur Sprache brachte. Es hatte keinen Sinn, den anderen seine Entdeckung zu verkünden, wenn der Weg dorthin von liegengebliebenen Autos oder Steinlawinen versperrt war. Nur ab und zu blitzte der Highway noch auf und verschwand langsam in der Ferne, als der Pfad wieder nach links abbog und …
Da war etwas neben dem Highway. Eine gleißende Asphaltfläche, auf der sich etwas leuchtend grau von dem schwelenden Wald dahinter abhob, mit einer senkrechten Mauer darauf, die sich aus einem Haufen Schutt und Geröll erhob. Vor der Mauer stand ein Wellblechdach, gehalten von vier hohen Betonpfeilern. Ray glaubte noch, ein darunter abgestelltes Auto zu erkennen, als das Bild plötzlich verschwand, verdeckt von einem Felsvorsprung.
»Da unten!«, brüllte er in Mares Ohr. »Da ist eine Tankstelle!«
Mare, der schon die ganze Zeit über nervös zugesehen hatte, wie die schmale orangefarbene Nadel der Tankanzeige immer weiter nach unten zeigte, seufzte erleichtert. Einen kurzen Moment später konnte er schon das abgebrannte Ziegelgebäude und die Überreste der Zapfsäulen davor sehen. Das Leuchtschild an der Einfahrt war umgestürzt,
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