Lehmann, Christine
Riesenschaf!«
» Scht , du weckst Alena auf.«
»Das Blut! Es hätte mir auffallen müssen, Richard. Es hätte auch der Polizei auffallen müssen. Es befand sich kein Blut auf dem Boden, keins im Waschbecken. Es b e fand sich nur in der Duschwanne. Nur dort!«
»Und das bedeutet?«, fragte Richard widerstrebend i n teressiert.
»Es bedeutet, dass Nina sich die Pulsader in der Ba d e wanne aufgeschnitten hat. Aber wie hätte sie danach noch die Wäscheleine holen und sich daran aufknüpfen können, ohne ihr Blut überall herumzutropfen, wenig s tens im Waschbecken und auf dem Badezimmerboden. Auch die Wäscheleine hätte blutverschmiert sein müssen. Aber so war es nicht. Ich kann es dir zeigen, ich habe Fotos gemacht.«
Er hob entsetzt beide Hände.
»Andererseits kann sich Nina nicht die Pulsader au f geschnitten haben, nachdem sie sich aufgehängt hatte, auch wenn danach das Herz noch eine ganze Weile schlägt und das Blut reichlich spritzt und fließt. Es muss ein anderer gemacht haben. Vielleicht war Depper sich nicht sicher, ob Nina wirklich im Seil stirbt, so blöd wie sie hing. Bei all dem Fett am Hals. Und sie saß ja fast in der Duschwanne. Vermutlich ist der Halter vom Dusc h kopf an der Stange hinuntergerutscht. Deshalb hat De p per dann noch die Pulsader aufgeschlitzt. Damit sie ve r blutet. Und den Kurzschluss mit der Büroklammer hat er herbeigeführt, um … na, um Verwirrung zu schaffen, was weiß ich. Wenn es zunächst dunkel ist, wenn man in die Wohnung kommt …«
»Na ja.«
»Jedenfalls muss Depper eine Strommarke am Finger haben. Das wäre ein Beweis. Und auf seinem Computer muss sich der Text des gefälschten richterlichen B e schlusses befinden. So kann er ihn gar nicht löschen, dass man die Datei nicht rekonstruieren könnte. Leider ist der ausgedruckte Brief heute verbrannt. Das ist ein weiterer guter Grund für das Feuer. Ich kann nicht beweisen, dass ich ihn gesehen habe. Hätten wir nur eine halbe Stunde eher bei ihm in der Liststraße geklingelt, hätten wir ihn wahrscheinlich nicht angetroffen.«
»Hm.«
»Und jetzt ist Katarina in Gefahr, Richard!«
Er schlitzte die Augen.
»Sie steckt mit den Nemkovas zusammen. Sie hat alles rund um die missglückte Adoption mitbekommen. Von ihrer Mutter weiß sie von dem Verdacht, dass Sonja Depper ihre beiden Kinder getötet haben könnte. Zumi n dest könnte Depper das denken, und wie wir wissen, zu Recht. Er muss sie umbringen. Zeuginnen beseitigen. Und zwar, bevor man ihn morgen oder übermorgen ve r haftet.«
»Und dann Jovana Nemkova und Eliska … Nein, L i sa!«
»Und wenn doch? Ein ordentlicher Schwelbrand im engen hölzernen Treppenhaus in der Ostendstraße nachts um drei. Das kostet die meisten Bewohner das Leben, und wenn Depper Glück hat, sind auch die Nemkovas und Katarina darunter.«
Wir starrten uns an.
»Ich fahr da jetzt hin!«, verkündete ich. »Und wenn ich die ganze Nacht in der Ostendstraße stehe. Vielleicht erwische ich Depper auf frischer Tat.«
»Lisa, bitte … Das ist kein Spiel!«
»Und du rufst Meisner an. Du musst sie erreichen. Und wenn du einen Polizeiwagen hinschickst, damit die Beamten sie aus dem Koma klingeln und zwingen, de i nen Anruf anzunehmen.«
31
Die Ostendstraße lag still und kalt im Licht von Straße n laternen und Weihnachtsgirlanden. Autos schliefen. In kaum einem Fenster war noch Licht. An der Ecke schummerte die Nachtbeleuchtung eines Supermarkts. Die Fenster der Polizeidienststelle schräg gegenüber w a ren hinter blickdichten Rollläden neonhell erleuchtet. Ein Mann eilte von Süd nach Nord. Ein Radfahrer ohne Licht suchte den Tod.
Ich fuhr die ganze lange Straße entlang, an Nemkovas Haus vorbei, an der Polizeidienststelle und der Bäckerei und stellte dann Richards auffällige Limousine doch li e ber in einer Seitenstraße ab.
Das Haus Nummer 74 b lag nicht weit von der Pol i zeidienststelle entfernt, allerdings in die zweite Reihe gesetzt und im Schatten der Nachbarhäuser. Ich drückte mich an einen der Bäume auf dem Mittelstreifen und b e gann zu warten. Nach einer halben Stunde gab ich me i nen Platz wegen unerträglicher Kälte und falscher Kle i dung auf, marschierte zum Auto zurück, fuhr es in die Ostendstraße, parkte es im Schutz der Bäume an der g e genüberliegenden Fahrspur und drehte die Standheizung auf. Um halb eins rief Richard an und teilte mir mit, dass Meisner ins Amt gefahren sei, um einen Antrag auf Haf t befehl zu schreiben. Außerdem seien
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