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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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Tür. »Ich komme schon klar mit der Kleinen. Nicht war, meine Kleine? Wir ve r stehen uns schon.«
    Ich öffnete die Lippen, um sie daraufhinzuweisen, dass Alena gleich schreien werde, aber Richard lächelte derartig erleichtert und erpicht darauf, sich für fünf M i nuten wie ein Mann zu benehmen, dass ich den Mund wieder zumachte. Frau Nemkova würde es schließlich selber merken.
    Im Büro hinter Glastisch mit Macbildschirm saß ein junger Mann in grauem Anzug. Er stand müde auf und kam hinter dem Tisch hervor. Hätte seine Hand sich nicht mit der Richards treffen müssen, so hätte er den Weg ins Zimmer wohl kaum bewältigt.
    »Herr Dr. Weber, das ist aber eine Freude, dass Sie mich mal …« Er unterbrach sich bestürzt.
    »Mein aufrichtiges Beileid«, sagte Richard und drüc k te Detlef Depper die Hand.
    »Sie … Sie haben sie gefunden, hat man mir erklärt«, sagte der Anwalt mit lauer Stimme.
    »Frau Nerz hat sie gefunden«, sagte Richard, mich präsentierend.
    »Angenehm«, sagte der Anwalt und drückte mir die Hand, viel zu fest. Die Kommunikation glückte ihm he u te nicht.
    Detlef Depper gehörte zu den Männern, denen man selbst im grauen Anzug noch den halbstarken Raufbold ansah, den Sieger aller Prügeleien, den Initiator übler Streiche, den jugendlichen Raser. Die einzige, allerdings erwünschte Niederlage, die dieses Gesicht hatte einst e cken müssen, war die auf dem Paukboden gewesen. Er trug einen Schmiss am Kinn.
    »Ja«, sagte er, »ich hab’s oben in der Wohnung ei n fach nicht ausgehalten. Da sitze ich jetzt hier und mache den Schreibkram. Ich fürchte, ich habe es noch gar nicht realisiert.« Er blickte auf die Uhr. »Ich denke die ganze Zeit, jetzt muss sie doch anrufen, damit ich sie vom G e richt abhole. Wir sind dann meist was essen gegangen.« Er musterte uns ratlos. »Erdrosselt! Erhängt im eigenen Schal! Wie oft habe ich ihr … meiner Frau … gesagt, sie soll sich den Schal nicht dreimal um den Hals wickeln. Als ich vierzehn war, habe ich einen Klassenkameraden sterben sehen. Sein Schal hatte sich um die Nabe des Mofas gewickelt. Genickbruch.«
    »Herr Depper«, nahm Richard ohne Hast das Wort. »Wir – genauer Frau Nerz – haben bei den sterblichen Überresten Ihrer Frau ein etwa vier Wochen altes Mä d chen gefunden.«
    »Das habe ich gehört«, sagte Depper. »Ich kann mir das gar nicht erklären.«
    »Ich habe das Baby mitgebracht. Frau Nemkova hat es mir allerdings förmlich aus den Händen gerissen.«
    Depper lächelte angestrengt unter zusammengezog e nen Brauen. »Tatsächlich? Nun ja, Frauen und Babys …«
    »Wollen Sie sich die Kleine vielleicht einmal a n schauen?«
    »Wenn Sie meinen. Auch wenn ich nicht wüsste, wieso.«
    Der Anwalt bewegte sich zur Tür, mit Tonnen von Tod in den Gliedern. Wir folgten ihm ins Foyer, wo die Sekretärin Alena auf dem Arm wiegte und vor sich hin sang. Ihr Blick war verklärt. »Schauen Sie, Herr Depper! Ist sie nicht süß?«
    »Hm.«
    Richard blickte ihn scharf an. »Kennen Sie das Kind?«
    »Nie gesehen. Warum sollte ich es kennen?«
    »Also ich erkenne kleine Kinder nicht gleich wieder«, sagte ich. »Die sehen für mich alle wie Chinesen aus.«
    Depper warf mir einen befremdeten Blick zu.
    »Alle gleich, meine ich.«
    Wir kehrten ins Büro zurück. Außer dem Schreibtisch stand da noch ein Konferenztisch mit sechs Stühlen. Depper blieb stehen. Unschlüssig. »Darf ich Ihnen was anbi e ten?«
    »Nein danke«, antwortete Richard. »Aber wenn Sie erlauben, würde ich Sie gern etwas fragen.«
    »Deshalb sind Sie hier, nehme ich an.« Detlef Depper versuchte nicht mehr zu lächeln. »Meine Frau hat große Stücke auf Sie gehalten. Sie würden überall den Haken finden, hat sie gemeint. Bitte …«
    Wir nahmen am Konferenztisch Platz. Depper auf der einen, ich auf der anderen Seite und Richard am Kopfe n de.
    »Was möchten Sie von mir wissen?«
    »Herr Depper, haben Sie und Ihre Frau eine Adoption beantragt? Ihre Frau hat so etwas erwähnt.«
    »Nein. Wir haben wohl darüber gesprochen, aber …« Er schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, wir haben zwei Kinder verloren. Plötzlicher Kindstod. Man sagt uns Männern ja nach, wir würden so etwas leichter verkra f ten, aber ich kann Ihnen sagen, das ist nicht der Fall, j e denfalls bei mir nicht. Es ist jetzt vier Jahre her, aber immer noch fahre ich nachts aus dem Schlaf, weil ich me i ne, Sonja wieder schreien zu hören: ›Sie ist tot, sie ist tot!‹ Und dann taumle ich ins

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