Lehmann, Christine
beschleunigt hatte, vielleicht auch, weil der Lärm auch ein Neugeborenes beunruhigte, es verformte al l mählich das Gesicht und fing an zu weinen, leise und zirpend.
Hellewart ordnete sich die pflaumenblauen Kleider, kehrte hinter ihren Schreibtisch zurück und langte nach dem Telefon. Brigitte Belial sah aus, als wünschte sie, heute wären ihre freien Tage gewesen. Wahrscheinlich fragte sie sich besorgt, ob ihr Mann bei der Steuererkl ä rung auch wirklich brav das Pflegschaftsgeld auf ihr B e amtinnengehalt draufgeschlagen hatte und ob man das wirklich musste.
» Scht ! Alinchen, mein Zwuckele«, gurrte Richard. »Ist ja gut! Niemand tut dir etwas Böses.« Er zupfte der Kleinen das Mützchen aus dem Auge. Er tat es mit kna p pen Bewegungen, so als hätte er sein ganzes Leben lang U m gang mit Säuglingen gehabt. Ich fragte mich, wer hier wem mehr vertraute, die kleine Alena dem Mann mit dem kräftigen Herzschlag und seinem Duft nach Zeder und Zibet oder Richard der Kleinen, dass sie ihn jetzt nicht bloßstellte, weil sie gar nicht mehr zu beruhigen wäre? Vielleicht brauchte es beides. Stille kehrte ein. Das Scheißerchen dampfte Frieden aus, unsere Nerven en t spannten sich.
In diesem Moment knallte mir die Tür in den Rücken. »Verzeihung!«, hörte man von draußen eine Männersti m me dröhnen. Ich trat beiseite, und herein kam ein Mann an die sechzig im Anzug mit Fliege und wucht i gem und zu Antennen gezwirbeltem Schnauzer. »Was ist hier los?«
»Ah, Herr Manteufel!«, grüßte Richard. »Guten Mo r gen.«
Ei, der Amtsleiter persönlich!
»So, guten Morgen, Herr Dr. Weber.« Die beiden le i tenden Beamten drückten sich rüde die Hände.
»Was verschafft uns denn die Ehre?«, redete Mante u fel drauflos. »Ach Gott, was ’ne süße Krott, die Sie da haben.« Er strich Alena übers Bäckchen, dabei streifte mich sein Blick. »Darf man zur Großvaterschaft gratuli e ren? Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie eine Tochter haben.« Im selben Atemzug nickte er seinen Mitarbeit e rinnen zu. »Frau Hellewart, Frau … äh … Belial.«
Hellewart machte das Gesicht, das Untergebene m a chen, wenn der Chef eingreift. Und der Chef war auch im Jugendamt, in dem überdurchschnittlich viele Frauen a r beiteten, männlich.
»Wie ich höre, gibt es hier ein kleines Problem«, sagte Manteufel.
Gab es etwa einen Alarmknopf unterm Tisch der ASD-Leiterin ?, fragte ich mich. Oder lauschten die D a men in den Nachbarbüros an den Wänden, wenn es G e schrei gab? Aber das meinte der Amtsleiter gar nicht.
»Sie haben nach einem Kind gefragt?«, fuhr er fort. Die Antennen seines mächtigen Schnauzers kippten wie Stierhörner nach vorn, als er den Mund zu einem Lächeln zwang. »Natürlich dürfen wir Ihnen keine Auskunft e r teilen. Sie selbst würden sonst gegen uns ermitteln.« Er lachte. »Datenschutz, das wissen Sie ja. Ich würde in Teufels Küche kommen. Doch ich kann Ihnen vers i chern, meine Damen arbeiten äußerst gewissenhaft. Bei uns geht kein Kind verloren.«
»Sicher«, antwortete Richard gespielt gleichgültig. »Ich bin ja auch gar nicht zuständig. Der Kollege Santulli vom Dezernat Kapitaldelikte und öffentlicher Dienst wird sich der Sache annehmen.«
Nasse graue Augen blitzten unter Manteufels busch i gen Brauen. »Warum gleich so amtlich, Herr Dr. Weber? Geben Sie uns doch noch ein Stündchen Zeit. Wer viel arbeitet, macht viel Fehler. Womit ich nicht gesagt haben will, dass meine Mitarbeiterinnen viele Fehler machen. Aber es menschelt halt auch mal.«
»Wie gesagt …« Richard erhob sich. »Das ist nicht meine Angelegenheit. Mein Anliegen war ein ganz and e res … Und ich muss schon sagen, Herr Manteufel, der Ton, den die Damen anschlagen, ist nicht immer hil f reich.«
»Die Damen erledigen einen schwierigen Job«, erw i derte Manteufel mit angelegten Antennen. »Einen ä u ßerst schwierigen. Sollte sich die eine oder andere im Eifer des Gefechts …« Er merkte selbst, dass »Gefecht« hier nicht das richtige Wort war.
Richard deutete ein Lächeln an. »Geschenkt. Ich habe sowieso demnächst einen Termin im Rathaus bei unserer Sozialbürgermeisterin. Mir scheint es geboten, im J u gendhilfeausschuss zeitnah zu thematisieren, ob es sin n voll ist, an Mitarbeiterinnen des Jugendamts Pflegekinder zu vergeben. Es wäre verheerend für das Ansehen der Behörde, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck en t stünde, die Inobhutnahme von Kindern richte sich nach der Zahl der bei Ihren
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