Lehmann, Christine
ich.
»So ist brav, du Butzewaggele! Und noch ein Bäue r chen! Und dann tun wir schön schlafen, gell?«
Meine Nerven begannen zu kribbeln. Ich kehrte zu Wagners Kinderliste zurück und scrollte Namen, auf der Suche nach Tobias Vlora.
»Wo hast du das her, Lisa?« Richard schaute mir über die Schulter und schärfte seinen Blick auf meinen Bil d schirm.
»Informantenschutz!«
»Das stammt doch von Wagner? Wie oft muss ich dir erklären, dass ich mit illegal erworbenen Informationen nichts anfangen kann!«
»Du musst ja nichts damit anfangen. Das ist für mich, Richard.«
»Und was willst du damit? Nein, ich will es lieber nicht wissen.« Er wandte sich ab, ging zum Sofa, setzte sich, lud das Butzele auf den rechten Arm um und strec k te die verkrampften Muskeln seines linken.
»Anstrengend, eh?«
»Weißt du, warum man Kinder meistens auf den li n ken Arm nimmt?«
»Damit es den Herzschlag spürt«, öffnete ich artig R i chards Lexikon.
»Das auch. Aber entscheidend ist, dass die linke Kö r perhälfte an die rechte Hirnseite gekoppelt ist, wo unsere Emotionen sitzen. Wenn man Babys links hochnimmt, löst das unmittelbar intensive Gefühle aus. Deshalb.«
»Aha!«
Ich rief das Such-Menü auf und tippte »Tobias« ins Fenster. Das Suchprogramm hielt bei einem Tobias Ab e le an, bei einem Tobias Meier, Sonnennest, und schlie ß lich bei einem Tobias Müller. Kein Habergeiß oder Vl o ra.
Bei den Kindern mit dem Nachnamen Leidenfrost war ich erfolgreicher. Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Meine Emotionen waren eindeutig an etwas anderes g e koppelt, beispielsweise an Jagderfolg, wo auch immer der sich im Hirn verorten ließ.
Die Kinder von Lea und Tilo Leidenfrost vom Rai tel s berg waren auf acht Familien verteilt worden, die u n ter anderem in Böblingen, Leonberg, Magstadt und Feue r bach lebten. Und ich hatte die Adressen, schwarz auf weiß.
»Schläft!«, seufzte Richard zufrieden. Langsam nahm er den Zwuckel aus seinem Arm und legte ihn aufs Sofa. Vorsichtig wie beim Mikadospiel hob er die Hände. Al e na blieb still, sie schlief. Jetzt musste er nur noch selbst aus den Federkernpolstern kommen, ohne dass es Alena aus dem Schlaf wuppte. Sein jahrelanges Krafttraining in Fitnessstudios erwies sich bei dem zeitlupenhaften Unte r fangen als nützlich. Es gelang. Alena hatte sich von der Welt der Verlustängste verabschiedet und schlief eifrig vor sich hin.
Mit raschem Schritt war Richard bei seinem Jackett, das über einem Stuhl hing, und zog das gelbe Päckchen seiner Zigarettenmarke aus der Innentasche. »Die erste heute!« Frohgemut eilte er in die Küche.
Ich kopierte die Adressen der Leidenfrostkinder in ein Extrado kument , zog Wagners Dokumente auf meinen Rechner und schickte sie weiter in den externen Speicher eines Mediencenters. Wenn ich jetzt die Leidenfrostad re s sen ausdruckte, würde Alena dann aufwachen? Ich z ö gerte. Außerdem erschien Richard in der Küchentür, die Hand mit dem qualmenden Stängel rückwärts in die K ü che gestreckt. »Ich müsste mal ins Amt. Höchstens eine oder zwei Stunden.«
Ein schrecklicher Verdacht kam mir. »Du willst jetzt aber nicht insinuieren … oder auf Deutsch, mir nahel e gen, dass ich solange auf Alena aufpassen soll?«
»Sie schläft sicher mindestens zwei Stunden. Und wenn sie aufwacht und dir auf die Nerven geht, dann rufst du einfach an. In drei Minuten bin ich hier.«
»So haben wir aber nicht gewettet, Richard. Auße r dem muss ich … äh … mit Cipión raus. Und tragen tue ich Alena nicht!«
»Einen Kinderwagen könntest du dir bei Frau Habe r geiß leihen. Katarina hat ihn uns gestern angeboten.«
Hätte ich das nur getan! Aber ich krawallte. »Du glaubst doch nicht, dass ich ein Schreibaby durch die Gassen schiebe! Außerdem habe ich noch was anderes vor.«
Zum Sonnennest fahren, die Leidenfrosts aufsuchen, nach Tobias forschen, Ruth Laukin anrufen und ihr die Geschichte noch mal erklären. Hilfe, Stress! Und dann auch noch ein Kind hüten? Seit jeher hasste ich es, wenn Pflichten den schlammigen Fluss meiner Faulheit krä u selten.
Richard verschwand hinter der Tür. Als er sich wieder zeigte, war sein Gesicht das mir vertraute mit Leben s skepsis und Paragraphenschärfe im Blick. »Wenn das so ist.« In seiner Stimme flackerte etwas Ungutes, vermu t lich Gefühle.
Zorn sprudelt mir den Hals hoch. »Verstehe. Es ist halt immer noch die ureigene Aufgabe der Frauen, die Kinder zu hüten, wenn die Männer in den Krieg mü
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