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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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s sen!«
    » Scht !«, machte Richard. »Bitte, du weckst sie auf!«
    »Na und?« Ich gab Druckbefehl. Mein Drucker schnaubte und stieß dann asthmatisch pfeifend das Blatt aus. »Das ist meine Wohnung. Da schreie ich rum, wie es mir passt!«
    Richard verschwand in der Küche, killte die Zigarette und eilte zum Sofa, um nach dem Zwuckel zu schauen. Alena schlief. Vermutlich gehörten Eheschreiereien zu den vertrauten und beruhigenden Elementen ihres kurzen Lebens. Wortlos sammelte Richard den Kinderkram ein, Pampersschachteln, Strampler, Fläschchen, Decken, Ba b y nahrungspackungen, Mützchen und Schühchen, und stopfte ihn in Tüten, stöpselte den elektrischen Fla sche n wärmer aus und packte ihn ein, stellte alles an die Tür, was Cipión beunruhigt beschnüffelte, durchquerte den Salon, nahm Alena vom Sofa, legte sie sich in den Arm – den linken, der unmittelbar Muttergefühle auslö s te –, nahm mit der rechten Hand die Tüten, stellte sie vor die Tür, schob Cipión zurück und zog meine Wohnung s tür von außen zu.
    Blödmann!

12
     
    Ich faltete den Ausdruck zusammen, steckte ihn in meine Parkatasche, nahm die Leine und begab mich hinunter. Oma Scheible wartete schon im Hochparterre, wo die Steintreppen begannen, die zur Eingangstür hinunte r führ ten. »Ich will ja net neugierig sei, aber des Kindle, wo der Herr Weber bracht hot …« Die alten Äuglein kreise l ten. »So ebbes muss ma sich gut überlege …«
    »Haben Sie überlegt, ob Sie Kinder kriegen, Frau Scheible?«
    »Des wäret die eigene! Da gab’s nix zum überlegen. Aber wemma so an Kindle adoptiert, na weiß man nie, was ma kriegt. Ich mein, man hört doch heutzutag so viel von dene Gene. Nachher wird’s an Massenmörder.«
    »Es ist ein Mädchen, Frau Schäuble.«
    »Aber ebbes Ausländischs ischs doch scho? Da isch erseht kürzlich in der Zeitung gschtande, dass so ein Mädle, wo sie in Indien adoptiert hen, dene Adoptivelt e re den Prozess g’macht hat, weil die sie den wahre E l tere wegg’nomme hättet.«
    »Keine Sorge«, sagte ich. »Wir behalten sie nicht. Die Polizei sucht nach den Eltern.«
    »So? Na behaltet Sie’s net? Schad! I hätts au g’nomme, wenn’s amal eng g’worde war.«
    Als ich mit Senta und Cipión im Hof des SWR einlief, war Sallys blonde Mähne unter den fröstelnden Rauchern nirgendwo sichtbar. Ich war zu spät. Umso besser. Ich zog mit den Hunden durch den Park der Villa Berg direkt zum Raitelsberg und betrat eine Retro-Welt. An den Stirnfassaden von Reihenhäusern klebten in Stein geha u ene Heilige im Stil sozialistischer Arbeiterkunst, die d i rekt von der Kirchengotik abzustammen schien. Es roch nach Kohleöfen, Arbeiterstolz und Kindern. Wie am Fließband reproduzierten sich Türen und Fenster in nah t losen Wänden von Häuserzügen. Der Herbstwind trieb das Nichts durch menschenleere Straßen. Eine grüne Weinflasche stand verlassen an einer Ecke. Ich trug sie zum Emektar Markt am Hochhaus der Siedlung, band die Hunde am Gitter eines Müllcontainers an und begab mich in den Laden, um die Flasche gegen Pfand, ein Päckchen Zigaretten und Informationen zu tauschen.
    »Ich suche die Familie Leidenfrost«, sagte ich zu dem Türken an der Kasse.
    Er lächelte.
    »Die mit den acht Kindern«, erklärte ich.
    »Die Kinder sind weg. Das Jugendamt.«
    »Aber die Eltern wohnen doch noch hier?«
    Der Türke lächelte wieder.
    »Was wollen Sie denn von denen?«, fragte mich ein älterer Mann in heller Kunstlederjacke mit Webpel z kra gen. Er hatte ein hakennasiges Gesicht mit schloh we i ßem Haar, einen Ring im Ohrläppchen, zwei Schac h teln Billigzigaretten in der Hand und zählte in der and e ren die Münzen.
    »Mit ihnen reden«, antwortete ich.
    »Wollen sie denn auch mit Ihnen reden?«
    »Ich denke schon.«
    »Sie reden aber nicht gern mit Leuten, wo sie nicht kennen.«
    »Das kann ich mir denken.«
    »Du denkst viel, hm?«
    Ich lachte, zahlte und ging hinaus. Als ich meine Hu n de losgebunden hatte, war auch er rausgekommen. »De i ne?«
    »Der Dackel ja, die Schäferhündin nein.«
    »Sind ziemlich aus der Mode gekommen, die Dackel.«
    »Stimmt.« Ich steckte mir eine Zigarette in den Mund.
    »Als ich Bub war, hat man Dackel gehabt. Sie haben sich mit den Schäferhunden gebissen. Eine Erzfein d schaft.«
    »Die Zeiten ändern sich.«
    Der Alte hielt mir Feuer hin und zündete sich dann selbst eine an. »Ich bin hier geboren, habe immer hier gelebt. Vierundachtzig Jahre lang.«
    »Hätte ich nicht

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