Lehmann, Christine
Frau in die Augen wie ein Mensch einem anderen Menschen. »Das würden Sie tun?« Sie lächelte sogar.
»Kein Problem. Und auf meine Kosten natürlich!«
Ich sah der Frau an, wie sie überlegte, ob sie mir jetzt den Zehner zurückgeben musste, dann aber mitten im Gedanken abgelenkt wurde oder sich ablenken ließ von den beiden kleinen Kindern, die um die Hausecke g e schlichen gekommen waren und sich weniger für die a n geschlabberte Schüssel Pudding als vielmehr für den D a ckel interessierten.
»Beißt er?«, fragte der Junge.
»Nein.«
»Dürfen wir ihn mal streicheln?«, fragte das Mädchen.
»Klar!«
Cipión wedelte mit der Schwanzspitze. Stets zeigte er höfliche Freunde, wenn ihm Kinder in die Augen starrten und nach ihm griffen. Ich hatte den Verdacht, dass es ihm sogar gefiel, von feuchten Kinderhänden an den O h ren gezogen zu werden. Vermutlich kam er sich g e schätzt und wichtig vor und es war das, was er am Leben mit mir vermisste.
Ein drittes Kind erschien. Offenbar hatte es sich im Haus herumgesprochen, dass die Musik draußen spielte. Außerdem kam ein etwa zwölfjähriges Mädchen mit e i nem Baby im Arm und auf der Hüfte. Das Baby konnte, anders als Alena, schon gezielt gucken, mit den Händen deuten und beim Ruf »Da-da« den Schnuller ausspucken.
»Da, Wauwau!«, sagte die Zwölfjährige, in der ich mit Fotoerinnerung Celine Leidenfrost erkannte, und streckte ihre Hand aus. Der Zwerg warf sich in ihrem Arm nach vorn. Celine ging in die Hocke und stellte ihn ab. Stracks tappte er auf Cipión zu, stoppte dann aber angesichts der Nähe von Hundeschnauze und Dackelaugen.
»Vorsichtig ei machen«, sagte das kleine Mädchen. »Schau, so.«
Celine trug neue Jeans, röhrig, knalleng und mit dem nötigen Faltengekröse an den Fußfesseln, ein rotes Shirt über einem hellblauen Ringelpulli und große Kreolen in den Ohren. Die blauen Augen hatte sie auf Kinder, Zwerg und Dackel gerichtet. Mich schien sie gar nicht wahrzunehmen. Vielleicht pubertäre Schüchternheit, vie l leicht die Vorsicht der Geisel.
Wie konnte ich ihr jetzt eine Nachricht zukommen las sen, mich wenigstens als Bekannte ihrer Eltern au s weisen? Ich hätte mich besser vorbereiten müssen.
»Ich überlege gerade«, nahm die Pflegemutter ihren roten Faden wieder auf, »für Pudding wird es mir zu spät. Vielleicht gehen Sie doch besser einfach zum B ä cker und besorgen Nussstriezel. Zweie müssten es alle r dings schon sein. Von den Vollkornstriezeln.«
»Mache ich. Hätten Sie wohl eine Tasche?«
Die Pflegemutter wandte sich den Kindern zu, vermu t lich um Celine zu schicken. Doch die führte gerade die Hand des Zwergs über Cipión s raues Fell. Also ging sie selbst.
Da end li ch schaute Celine zu mir auf.
»Gruß von deinen Eltern«, raunte ich über die Köpfe der streichelnden Kinder hinweg.
Ihr Blick flutschte zum Haus, ihr Atem ging schnell. »Ich darf nicht mit Ihnen sprechen.«
»Können wir uns irgendwo treffen?«
Celine schüttelte den Kopf. »Ich darf nicht.«
Da kam auch schon die Mutter mit einem Einkauf s beutel wieder. Sie gab mir den Zehner zurück, den ich ihr vorhin gegeben hatte. »Und vielen Dank schon mal.«
Nur ungern ließen die Kleinkinder Cipión ziehen. Ich fragte auf der Straße die nächstbeste Frau mit Einkaufst a sche nach dem Bäcker, kaufte zwei Vollkornnussstriezel und eine Kilotüte Biogummibärchen ohne Gelatine und künstliche Farbstoffe und kehrte zu dem Haus zurück. Das Gartentor war wie vorhin fest verschlossen. Ich musste klingeln. Es war Celine, die beinahe augenblic k lich zur Haustür heraustrat und dann mit dem Baby auf dem Arm den Plattenweg entlangeilte.
Ich hob den vollen Beutel übers Tor. Sie nahm ihn ab und steckte mir gleichzeitig einen Zettel zwischen die Finger. Im nächsten Moment hatte sie sich umgedreht und ging langbeinig zum Haus zurück.
Auch ich drehte mich um und ging meiner Wege.
Den Zettel schaute ich mir erst im Auto an. »Ich darf ihr Vertrauen nicht enttäuschen«, hatte Celine mit hast i gem Bleistift auf die Ecke einer Heftseite mit Karopapier geschrieben. »Bitte, kommen Sie nicht wieder.«
Mein Gedärm krampfte. Was würde ich tun an Celines Stelle? Weglaufen natürlich! Und wenn sie mich wieder einfingen, dann würde ich wieder weglaufen und immer wieder. Sie hätten mich schon einsperren, sie hätten mich fesseln müssen! Oder? Es dachte sich leicht, so etwas. Ich mit zwölf Jahren, hätte ich wirklich alles darang e setzt, zu meiner
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