Lehmann, Christine
Blatt.«
Tilo nickte.
»Und eines muss Ihnen klar sein: Sobald Sie mit e i nem Kind Kontakt aufnehmen oder versuchen, es herausz u ho len, sind alle anderen verloren.«
Er nickte wieder.
Was sollte er mit der Liste wirklich anfangen?, fragte ich mich. »Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen m a chen. Und Sie wollen ja auch nicht, dass ich über Sie schreibe. Aber ich bin entschlossen, das Jugendamt und die Leute vom Sonnennest aufzumischen.«
»Was haben Sie vor?«, fragte Lea.
»Keine Ahnung. Aber es wird schon schiefgehen! Ü b rigens, wo waren Sie gestern Nachmittag?«
13
Nur wegen meiner Bestechung oder Erpressung mit der sinnlosen Adressenliste antwortete mir das Ehepaar Le i denfrost auf diese Frage. Er hatte den Nachmittag in der Wohnung am Computer verbracht, sie war ein oder zwei Stunden in der Gegend spazieren gegangen und hatte dann den Haushalt gemacht. Beschäftigungen der B e schäftigungslosen. Was hätte es Tilo und Lea auch g e nützt, die Richterin umzubringen, die nur Entscheidu n gen des Jugendamts bestätigt hatte? Eine tote Richterin war alle Sorgen los, ihr Mörder dagegen hatte eine Sorge mehr, nämlich die, den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen. Doch womöglich tickte ein seiner Vate r schaft beraubter Mann nicht mehr rational. Für ausg e schlossen hielt ich es dagegen, dass eine Schwangere R a che übte. Lea hatte ihre Zukunftshoffnungen im Bauch. Allerdings lag sie im ständigen Widerspruch mit sich selbst. Die Angst vor den Hunden, obgleich keine r lei Kinder in der Wohnung waren und auch in absehbarer Zeit nicht sein würden, die allergisch hätten reagieren können. Ihre Gier aufs Fernsehen bei gleichzeitiger kat e gorischer Ablehnung der Öffentlichkeit. Ihr zufriedenes Lächeln, als sie eigentlich hätte traurig sein müssen, weil sie den zwölften Geburtstag nicht mit ihrer Tochter Cel i ne hatte feiern dürfen, die hasserfüllte Freude über De p pers Tod, gefolgt von Gebets- und Vergebungsdemut. War sie immer schon so gewesen oder erst so geworden? Meine Mutter – o Gott, morgen musste ich da hin! – ha t te an mir den Grundwiderspruch ihres Lebens ausgela s sen. Mental ausgestattet, ein großes Unternehmen mütte r lich autoritär zu leiten, hatte sie sich im Glauben an die di e nende Rolle der Frau aufs Familienmanagement b e schränkt. Was hätten die Nachbarn gesagt, wenn sie a r beiten gegangen wäre? Ich sollte es mal besser haben als sie, aber nicht zu gut. Beruf ja, aber nur Sekretärin. Einen Mann ja, aber einen, bei dem keine Liebe im Spiel war, sondern Furcht, Ekel und Vermehrung.
Die Stadtbahn mit ihren wuchtigen Hochbahnsteigen sprengte die Hackstraße fast. Sie war lang, Senta lan g sam, Cipión unwillig. Ich passierte das Karl-Olga-Krankenhaus und rief Christoph an.
»In einer halben Stunde gibt’s eine Pressemitteilung«, knurrte er. »In der steht, dass es eine Festnahme gegeben hat.«
»Doch nicht dieser Kleinkriminelle?«
»Er war so blöd, das entwendete Handy zu benutzen. Die Kollegen haben ihn am Bahnhof festgenommen.«
»Hat er die Tat gestanden?«
»Nein.«
»Was sagt er denn?«
»Ich darf mit dir darüber nicht reden, das weißt du doch.«
»Aber er war es nicht. Wenn er die Richterin beim Handtaschenraub getötet hätte, hätte er die Stadt verla s sen. So blöd kann er doch nicht sein, dass er dann auch noch das Handy benutzt.«
»Wir haben schon viel Blöderes erlebt.«
»Und von Alenas Eltern immer noch keine Spur?«
»Von wem?«
»Richard hat sie Alena getauft. Die Kleine, die bei Deppers Leiche lag.«
»Nein. Es hat sich niemand gemeldet.«
»Das ist doch komisch, nicht?«
»Vielleicht sind die Eltern in Urlaub gefahren und glauben ihre Tochter wohlbehütet bei Oma und Opa, während die denken, die Eltern hätten sie mitgeno m men.«
»Wer fährt denn in Urlaub, wenn das eigene Kind g e rade einen Monat alt ist?«
»Alles schon vorgekommen!«
»Übrigens ist mir noch etwas eingefallen, Christoph.« Ich erzählte ihm von der Frau mit dem Kinderwagen, die uns zu Beginn unseres Spaziergangs entgegengekommen war. »Und ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich ein Kind im Kinderwagen hatte.« Ein Lastwagen donnerte an mir vorbei. »Hast du was gesagt?«
»Nein.«
»Die Tat muss irgendetwas mit den Fällen zu tun h a ben, die Depper bearbeitet hat. Wir suchen nach einer jungen Frau, die vor etwa einem Monat niedergekommen ist. Dem Jugendamt muss ein Beschluss über eine Ino b hutnahme vorliegen. Das
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