Lehmann, Christine
Liebe, die Beweise brauchte, also Opfer. Eine Liebe, die nur in Familien vorkam und unter Eheleuten, wenn sie so lange zusammen waren, dass aus Fremden Ve r wandte geworden waren, die man sich niemals hatte au s suchen können. Die einzige Gelegenheit, eine Liebe zu finden, die keine Opfer verlangte, hatte man im kna p pen Zeitfenster zwischen Jugend und Kinderkriegen. Und wie viele verbaselten es? Opferten sich und ihre Träume e i nem Miesepeter, der Liebesbeweise verlangte, kleine oder größere: Ehe, Treue, Mahlzeiten, Besuche bei den Schwiegereltern, Kinder und das Vierzehntageglück auf Mallorca. So versammelten wir Lieben um uns, d e nen wir nicht entrinnen konnten. Kein Wunder, dass nir gen d wo so viel gemordet wurde wie in Familien.
»Was ist los?«, fragte ich aus meinem Wodkakarussell heraus.
Die Schwestern blicken sich an. Katarina holte Luft und sagte beherzt: »Irina … ich meine Alena … ist Eliskas Tochter. Das glauben wir. Nicht wahr, Eliska? Das glaubst du doch.«
Ups! »Ist das Glaubenssache? Die Vaterschaft ja, aber Mutterschaft?«, nuschelte ich.
Eliska legte das Besteck auf ihren Teller. »Ich habe meine Tochter nach der Geburt nicht gesehen. Ich … ich habe sie zur Adoption freigegeben. Sie ist … von der E 55.« Sie schluckte an einem Kloß herum. »Nac h dem der Papa gestorben war … Wir hätten nach Tsch e chien z u rückgemusst. Und Jovana ging doch hier zur Schule. Wir hatten kein Geld. Mama hat einen kaputten Rücken, k a putte Hüften.«
Schicksal türmte sich auf dem Tisch.
»Ich bin nach Tschechien gegangen. Ich habe Geld verdient. Ich bin schwanger geworden, ich habe das Kind verloren. Dann bin ich noch mal schwanger geworden und habe abgetrieben. Es gibt so viele deutsche Männer, die stehen auf schwangere Mädchen. Und so wurde ich wieder schwanger. Herr Depper hat mich dann nach Deutschland geholt.«
So, trieb der sich also auf dem tschechischen Straße n strich herum!
»Ich war im fünften Monat. Er hat mir die Stelle in seiner Kanzlei gegeben. Aber ein Kind in der kleinen Wohnung hier? Und Jovana geht zur Schule und Mama kann nicht richtig laufen und heben kann sie nicht. Und ich muss arbeiten. Die Frau vom Sonnennest …«
»Sonnennest?«
»Sie hat gesagt, ich könnte das Kind zur Adoption freigeben. Verstehen Sie? Ich kenne den Vater nicht. Ich war voller Hass und Ekel. Woanders hat sie es besser.« Eliska schluckte, aber der Kloß steckte fest. »Und Frau Depper, die konnte ja keine Kinder bekommen.«
Ich musste schlucken. Eliskas Schluckerei war a n ste ckend. »Sie wollte das Kind adoptieren?«
»Es gibt eine offene Adoption, hat sie gesagt. Da hätte ich mein Kind immer sehen können. Aber ich wollte nicht … erst nicht. Immer wieder mein Kind sehen … Aber Frau Depper hat mit mir geredet … Sie ist geko m men …«
»Hierher?«
Eliska nickte. Ihre Mutter hielt die Augen auf ihre Tochter geheftet. Sie verstand kein Wort, aber sie wusste, wovon wir redeten. Vorhin hatte sie das Jugendamt ge s tisch des Diebstahls bezichtigt. Sie war überhaupt gegen die Adoption gewesen.
»Und wann ist sie zur Welt gekommen?«, fragte ich.
»Mittwoch vor vier Wochen. Da habe ich meine Toc h ter geboren.«
»Dann stecken Sie ja noch mitten im Wochenfluss!« Keine Ahnung, woher mir der Ausdruck zuflog. Ich war nicht fähig, meine Äußerungen intellektuell zu steuern.
»Sie haben sie mir gleich nach der Geburt wegg e nommen. Es sei besser so, wenn ich sie nicht sehe.«
Ja, bevor das Oxytocin Mutterliebe schuf.
Bisher hatte sich Eliska tapfer gehalten, aber jetzt rol l ten die Tränen in hellen Tropfen über ihre Backen.
»Und Sonja Depper?«
Eliska schluckte, schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. »Es ging nicht. Sie konnte meine Tochter nicht adoptieren. Ich weiß nicht.«
»Verstehe.« Ich verstand natürlich gar nichts. »Und die vom Sonnennest haben sie Ihnen abgeschwatzt für irgendwelche Kinderwunscheltern ohne Fertilität. Wer war es? Frau Baphomet persönlich?«
Eliska schluckte und schluchzte.
24
Oma Scheible, zwei Polizisten und Annemarie Hellewart standen in meiner halboffenen Wohnungstür, als ich mit Karin Beckers Pressemappe unterm Arm die Treppe hi n aufwankte. Cipión beschnüffelte Füße.
»I hen dene grad uffg’schlosse«, informierte mich Oma Scheible. »Die hen so amtlich do!«
»Wo ist Katarina Vlora!«, fuhr mich die ASD-Leiterin an.
»Grüß Gottle!«, rief ich großzügig. Ich hatte Brontë trotz meines Zustands
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