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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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und ging ums Heck he r um. Ich schaute derweil der langsamen Verfertigung des Protests in Alenas Gesichtchen zu. Als Richard den Schlüssel in den Zünder steckte, riss sie das Mündchen auf und schrie.
    »Soll das die ganze Fahrt so gehen?«
    Richard sah müde aus, ratlos. Das Kind forderte erste schmerzliche Opfer. Er musste nicht nur den Zün d schlüssel und das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Mannes am Steuer fahren lassen.
    Er musste auch in seinem Kopf eine radikale Operat i on vornehmen, ignorieren, was ihm seine Witterung über meinen Zustand verraten hatte, und die These installi e ren, mein unsicherer Gang sei der rechtswidrigen G e walttat eines Heimleiters geschuldet. »Meinst du, du kannst fa h ren? Der Wagen hat ja Automatik.«
    Zwar war mein Fuß nicht kaputt, aber ich spielte mit. Kurz nach drei raste ich mit meiner kleinen Familie im Mercedes über die Schnellstraße auf den blauen Riegel der Schwäbischen Alb zu. Katarina saß mit Ohrstöpseln und mp3-Player im Fond. Alena schlief an Richards ve r trauenerweckender Brust, Cipión saß zwischen seinen Füßen und stellte immer wieder eifersüchtig die Ohren, sobald das Baby einen Mucks von sich gab, und ich ref e rierte leise die Ereignisse des Tages.
    Der Himmel hing tief über den Gipfeln der Alb und schob sich grau über die Filder. Einzelne nasse Schne e flocken fielen auf die abgeernteten Felder. Obstbäume reckten ihre kahlen Zweige.
    »Übrigens, ich soll dir Grüße ausrichten von Karin Becker. Und sag jetzt nicht, du hättest nicht gewusst, dass Detlef Depper offizieller Geschäftsführer des So n nennests ist.«
    »Ist er nicht. Das Sonnennest wird offiziell von Ros a linde Baphomet geführt. Ambrosius Baphomet ist der pädagogische Leiter. Und Depper ist im Aufsichtsrat der Stiftung Xenodochium .«
    »Und das hast du mir nicht schon eher sagen kö n nen?«
    Er warf mir einen raschen Blick zu. »Hätte es dir i r gendwie weitergeholfen?«
    »Du Affendackel! Übrigens, eines ist wohl sicher: Alena stammt aus dem Sonnennest. Richterin Depper hat sie dort mitgenommen. Und wenn Ambrosius Baphomet Alena nicht vermisst gemeldet hat, dann weil er selbst etwas mit Deppers Tod zu tun hat.«
    Richard fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Ein ti e fer Atemzug hob seine Brust. Ihm fehlte nicht nur der Nachtschlaf, sondern auch die Zigaretten, dessen war ich sicher.
    Neckartailfingen, Neckartenzlingen, Bempfingen. Wir passierten Metzingen mit seinen Outlets und Schildern Richtung Bad Urach. Vor dem Albtrauf, der sich mit dem Hohen Neuffen, dem Roßberg, der Hohen Warte und dem Grasberg querstellte, fuhr ich rechts ab ins Land. Vingen, 5 km. Nie fuhr ich das Sträßchen entlang, ohne die Obstbäume zu zählen. »Dort ist es passiert«, erklärte ich Richard. An dem Birnbaum war vor vielen Jahren mein erster und einziger Ehemann im Porsche verendet. Aber wer wollte das heute noch so genau wissen. Linker Hand blockte der bewaldete Hang vor dem Roßberg mit seinen Jurakalkfelsen am oberen Grat. Die Tankstelle am Ortseingang war eingegangen, der holzverarbeitende B e trieb lag brach. Auch die alte Fabrik Gallion Obstsäfte hatte Löcher in den blinden Fenstern. Nur die festungsa r tige protestantische Kirche trotzte allen Zeitenwenden. Straßen mit Vogelnamen und neuen Villen fraßen sich in den Wald unter der Hohen Warte. Wie üblich fuhr ich am Reihenhaus meiner Mutter vorbei, musste wenden und nach der Hausnummer Ausschau halten. Sie stand vor der Tür, hielt das Figürchen gerade wie ein Prügel und die Nase kompassgenau Richtung Dreifaltigkeit. Ich u m ar m te sie, auch wenn es sich anfühlte wie ein Baumstrunk bei minus zwanzig Grad.
    »Mama, das ist Katarina. Das ist Alena, das ist R i chard. Cipión kennst du ja.«
    Die Augen meiner Mutter blieben auf Alena hängen. »Ja, hast du … ich verstehe nicht … Wieso hast du mir nichts gesagt, Kind?«
    »Das ist nicht meins, Mama.«
    Erleichterung. »Ah so?«
    »Freut mich sehr, Frau Nerz«, sagte Richard und reic h te ihr seine kräftige, immer warme Hand. »Bitte verze i hen Sie unseren Überfall. Ich hoffe, wir bringen jetzt nicht alles durcheinander.«
    Meine Mutter versuchte zu lächeln. Tatsächlich! Es gelang ihr sogar. Sie strahlte geradezu. »Das ist aber nett, dass Sie mich auch mal besuchen kommen, Herr Dr. Weber.«
    Aus dem Augenwinkel musterte sie Katarinas g e schminktes Gesicht und ihre viel zu dünne Kleidung, h ü tete aber vorerst ihre Fragen. Katarina stolperte auf der Schwelle und

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