Lehmann, Christine
wohlbehalten in die Garage b e kommen. Das war die Hauptsache. »Kommen Sie nur herein, schauen Sie sich um, fühlen Sie sich ganz wie zu Hause, Frau Hellewart. Leider habe ich nichts für Sie. Das tut mir leid. Kein Kind, das Sie mir zur Strafe we g nehmen könnten.«
»Sie sind ja betrunken!«
»Auch dafür können Sie mich nicht abstrafen.«
Ich grüßte die beiden von der Trachtengruppe. Zum Glück lagen keinerlei Listen neben meinem Klappco m puter offen auf dem Tisch herum. Da klebte nur meine Kaffeetasse von heute früh zwischen Aschenbecher, Z i garettenschachtel und Zeitungen.
»Frau Nerz«, sagte Hellewart. »Ich muss Sie dri n gend bitten, mir mitzuteilen, wo sich Katarina Vlora aufhält.«
»Gut sehen Sie aus, Frau Hellewart«, schmierte ich. Sie trug heute nicht Möhrenrot oder Pflaumenblau, so n dern Spinatgrün. »So grün! Vermutlich schützt Grün vor Schuldgefühlen. Die Grünen sind immer die Guten. Sie retten Wale, Nerze aus Pelzfarmen und manchmal auch Kinder!«
»Wir müssen uns kümmern, Frau Nerz. Ein Verzicht auf Inobhutnahme ist rechtswidrig. Ob eine Minderjä h ri ge einwilligt oder nicht, ist irrelevant. Katarina braucht einen Vormund, es muss geklärt werden, wie es weite r geht. Und ist doch wirklich nicht Katarinas Schaden, wenn sie in einer Familie unterkommt, die sich kümmert, wo sie Förderung erfährt, an Freizeitaktivitäten teilne h men kann, mit der sie in Urlaub fährt und die sie unte r stützt, einen Schulabschluss zu machen.«
»Ja«, erwiderte ich. »Ursprünglich war es mal eine g u te Sache, Wale, Nerze und Kinder zu retten. Damals, als die Gesellschaft in Öldollars und Kernkraftwerken dac h te und den Klimawandel für eine Spinnerei gehalten hat.« Ich schlingerte in ihre Richtung, stolperte und fiel ihr um den Hals. Das Spinatgrün roch nach Wildseide, ihr Hals nach Sanddorncreme. »Hm!« Doch ihr Körper war hart. Mit ungeahnter Panik stieß sie mich zurück, wild, hastig und zutiefst angewidert. Ich sauste rückwärts in die Stü h le und ging zu Boden.
Cipión knurrte. Hellewart wich zurück und keuchte, Tod versprechende Warnung im Blick.
»Hallo!«, sagte der Polizist und half mir wieder hoch. Es gestaltete sich schwierig, auch wegen meiner geläh m ten Schulter.
»Ach ja, ich vergaß!«, trötete ich, kaum senkrecht. »Sie sind ein bisschen erkältet, Frau Hellewart. Sie wo l len niemandem zu nahe kommen und niemand darf Ihnen zu nahe kommen. Sie dürfen keine Babys streicheln. Sonst wechseln schlimme Krankheiten hinüber und he r über.«
»Sie sind ja wirklich betrunken.«
»Das sagten Sie schon, meine Süße! Ja, der Wodka. Kann ich Ihnen nur empfehlen. Er enthemmt.« Ich zwi n kerte ihr zu. »Und man riecht ihn nicht, gell?«
»Unterstellen Sie mir etwa, ich würde …« Sie brach ab. »Da lasse ich mich doch gar nicht drauf ein!«
Ich lachte. »Das ist besser so. Lassen Sie sich auf nichts ein. Machen Sie Ihr Ding. Dann werden Sie auch Amtsleiterin. Sie haben alles im Griff. Und Richterin Depper ist tot. Sie kann nichts mehr sagen. Wo waren Sie eigentlich am Mittwoch nach zwölf?«
Annemarie Hellewart wandte sich auf dem Absatz um und ging. Die beiden Polizisten folgten ihr mit einem »Nichts für ungut!« auf den Gesichtern.
»Sie solltet sich a bissle nalege!«, sagte Oma Scheible.
25
Ich schreckte aus dem Schlaf. Zwei Gesichter beugten sich über mich, eines mit dem unverwandten Blick, den Babys mit Hunden oder Katzen gemein hatten, weil i h nen nichts Menschliches peinlich war, und ein kantiges mit willensstarkem Kinn und asymmetrischem Blick zw i schen Hinschauen-Müssen und Nicht-sehen-Wollen.
»Wir müssen los!«
Dielen knarrten. Viel zu viele Dielen. »Ich kann nicht«, klagte ich. »Es ist mir zu laut. Und in meiner Schulter steckt ein Tennisball.«
Kind und Mann starrten auf mich herab. Doppelter Tadel. Alenas Augen glänzten, Richards Nüstern flatte r ten. Nicht das kleinste Ethanolmolekül entging dem trock e nen Alkoholiker. Von wegen, Wodka sei nicht zu ri e chen.
»Außerdem sehe ich doppelt!«
»Lisa, deine Mutter wartet. Wenn wir zum Kaffee bei ihr sein wollen, müssen wir los.« Er zog mich aus dem Sofa auf die Füße. Anders hätte ich es nicht geschafft. Ohne manövrierfähige Schulter war die gesamte Koord i nation im Arsch.
»Ambrosius Baphomet hat mich in den Karzer gest o ßen!«, versuchte ich zu erklären.
Wieder knarrten Dielen. Es musste daran liegen, dass Richard in mein Schlafzimmer ging. Ich
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