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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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rümpfte die Nase. Es roch nach alten Strümpfen, kalter Rinderbrühe und Kloseife wie an dem Tag, an dem mein Vater, der in Reutlingen einen Aut o handel betrieben hatte, sich auf die ockerfarbene Couch legte und entschlief. Nur die Couch war nicht mehr di e selbe. Ich hatte meiner Mutter eine neue Sitzgarnitur g e kauft.
    Auf dem gekachelten Eichencouchtisch wartete A p felkuchen.
    »Bitte nehmen Sie Platz, Herr Dr. Weber. Sie trinken doch Kaffee? Kuchen ist genug da. Aber ob das Aben d brot für alle reicht …«
    »Ich würde Sie gern heute Abend zum Essen einl a den«, sagte Richard.
    »Und was machen wir so lange mit der Kleinen? Eine Wirtschaft ist nichts für einen Säugling!«
    Richard lächelte verdutzt.
    Ich verbiss mir ein Grinsen. Die erste Runde in Sachen Mutter Nerz gegen Staatsanwalt Weber hatte der Staat verloren.
    »Und die junge Dame?«, wandte sich meine Mutter mehr an mich als an Katarina. »Was möchte die tri n ken?«
    Ich musste Katarina antippen, bevor sie reagierte, so beschäftigt war sie damit, die Sammlung christlicher Symbolik an den Wänden zu beäugen: den geschundenen Leib des Herrn am Kreuz über dem Fernseher, den von Pfeilen durchbohrten heiligen Sebastian, das pausbäckige Schutzengelchen, das einem Menschen das Glück hi n terhertrug.
    »Red Bull«, antwortete Katarina.
    »Bitte?«
    Das Mädchen lächelte arrogant. »Cola?«
    »Habe ich nicht im Haus«, antwortete meine Mutter. »Milch?«
    Katarina rümpfte die Nase.
    »Na, wer nicht will, der hat schon.« Meine Mutter brachte das gute Geschirr, verteilte den Apfelkuchen, berichtete vom Dauerkrieg mit dem bösen Nachbarn, der diesmal die Feuerwehr gerufen hatte, weil sie Holz an der Garagenwand gestapelt hatte, das brennen könne, und fraß sich in mein Leben vor. »Wie geht es Sally? Und Frau Scheible? Tja, wir werden alle nicht jünger.« U n auffällig bezog sie Richard mit ein. »Das ist ja ganz re i zend, dass Sie sich Zeit nehmen konnten. Aber Freita g nachmi t tag, da machen Behörden ja früher Schluss. Und als ju n ger Vater …«
    Ich musste Cipión streicheln, um nicht allzu laut zu grinsen.
    Richard blieb ernst. »Das ist nicht meine Tochter, Frau Nerz.«
    »Wie?« Meine Mutter blickte mich an.
    »Es ist ein Findelkind«, erklärte ich.
    »Ah so, dann wollt ihr … es adoptieren?«
    »Nein«, antwortete Richard. »Da gibt es andere, jü n gere Paare, die schon lange warten.«
    Bedauern mischte sich mit der Gier der Großmutter. »Täten Sie sie mir mal geben?«
    »Aber gern.«
    Meine Mutter nahm das Butzele auf ihren linken Arm, wiegte es. »Ei, was ein hübsches Marjellchen du bist, tui, tui, tui … . Ei, Puppke, ja tui, tui, tui.« Es waren mir vö l lig unbekannte ostpreußische Mutterlaute. »Tui, tui, tui …«
    Alena atmete aufgeregt. Richard streckte befreit seinen linken Arm, ergriff die Gabel, stieß sie in den Apfelk u chen und spachtelte hungrig.
    »Wie alt ist sie denn?«
    »Wir schätzen, einen Monat«, antwortete ich, denn Richard hatte den Mund voll.
    »Das glaube ich nicht. Sie muss älter sein.« Mir glau b te sie ja grundsätzlich nichts. »Schau dir die Augen an. Sie werden schon braun.«
    Ich beschloss, nicht zu widersprechen.
    »Schau, das ist der liebe Herr Jesus Christus. Der passt auf dich auf.«
    Alena blieb still am mageren Busen meiner Mutter. Ich staunte. Katarina auch. Nur Richard fand daran nichts Verwunderliches. Vielleicht liebten Neulinge auf der Welt Menschen mit dem kräftigen Herzschlag moral i scher Grundsätze. Egal welcher. Hauptsache, der Mensch, der sie trug, war genordet und wich nie von se i nen Glaubenssätzen ab.
    Der Apfelkuchen war matschig und sauer. Er fräste sich die Speiseröhre hinab in meinen Magen. Katarina stocherte, als hätte sie noch nie einen Apfelkuchen ges e hen. Aber nicht nur das war ein abendländisches Kultu r gut, auf das wir uns nicht verständigen konnten. »Wer ist das denn?«, fragte sie mich flüsternd und deutete auf den heiligen Sebastian. Was ein Märtyrer war, wusste sie nicht. Und als meine Mutter ihr vorschlug, ihr Fahrrad zu nehmen und zum Gestüt Gallion zu radeln, in dem ich meine Jugend verbracht hatte, schüttelte sie entgeistert den Kopf. Ob es im Ort ein Internet Café gebe. Das wus s te wiederum meine Mutter nicht.
    »Es gibt eines!«, fiel mir ein. »Am Marktplatz neben dem Kriegsgefallenendenkmal. Kannst ja mal gucken gehen.«
    »Ich hab eh kein Geld.« Mit demonstrativer Resign a tion ließ Katarina sich wieder in den Sessel

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