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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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Federkern und Allergieschutz entschied. Von Christinas Matratze tut mir natürlich der Rücken weh. Ich bin nicht nur spießig, ich bin auch noch alt.
    Ich will mich gerade auf mein Sofa niederlassen und über gestern und heute Morgen nachdenken, schließlich liegt meine letzte »echte« Beziehung schon ein wenig zurück, da klingelt das Telefon. Es ist mein Chef, der Chef der Kleinanzeigenabteilung. Wir sind auch so etwas wie Freunde, jedenfalls würde er das sagen.
    »Hallo«, kommt es schwach aus dem Hörer. »Störe ich gerade?«
    »Du störst immer«, sage ich.
    »Was, wirklich? Das tut mir leid.«
    »Nein, das war ironisch.« Ich lasse mich auf den Sessel im Wohnzimmer fallen. Vielleicht sollte ich versuchen, auch postironisch zu sein. Dazu müsste ich aber erst mal wissen, was das genau ist.
    »Zum Glück. Du, ich wollte fragen, was du heute Abend vorhast.«
    Die Autorität zwischen mir und meinem Chef ist ziemlich ungleich verteilt: Sie liegt komplett bei mir. Mein Chef ist nämlich sehr unsicher. Ständig hat er das Gefühl, jemand anders sei besser als er und er müsse sich dafür entschuldigen. Das Tragische daran ist, dass er damit vollkommen recht hat.
    »Du bist wie Gary Barlow«, sage ich. »Du stehst immer im Schatten der Coolen.«
    Mein Chef lacht. Er ist der einzige Mensch auf der Welt, der regelmäßig über meine Witze lacht. Auch wenn sie aufseine Kosten gehen. Das Tragische daran ist, dass er sie wirklich lustig findet.
    »Aber zurück zu meiner Frage.« Er schnauft schwer ins Telefon. Wie alt ist Gary eigentlich? Ich war mal auf einer Geburtstags»feier« von ihm eingeladen, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wie alt er damals geworden ist. Ich kann mich eigentlich an gar nichts mehr erinnern von der »Feier«, nur noch, dass ich in dieser Cocktailbar, wo er mit mir und zwei Kollegen vom Stadtmagazin »gefeiert« hat, vor Langeweile fast gestorben wäre. Ich befürchte, er ist sogar jünger als ich.
    »Was hast du denn heute Abend vor?«
    Ich kann ihn unmöglich Christina vorstellen. Nicht gleich am zweiten Abend meinen uncoolsten Freund. Dass ich tatsächlich noch in Kategorien wie uncool und cool denke, ich bin doch keine fünfzehn mehr. Aber was soll ich machen, das geht ja wirklich nicht.
    »Wir könnten was zusammen unternehmen. Ist doch Samstag, Partytag!«
    Wahrscheinlich bietet er mir gleich an, alle Drinks zu bezahlen und mich mit dem Taxi abzuholen.
    »Wie in den alten Zeiten!«
    Was für alte Zeiten? Wir hatten keine alten Zeiten. Wie alt muss man sein, um von alten Zeiten zu sprechen? Aber ich kann es einfach nicht. So ein böser Mensch bin ich nicht.
    »Treffen wir uns um neun am Hermannplatz, da ist so eine Party«, sage ich, lege meine Stirn auf die kühle Wohnzimmertischplatte und unterdrücke ein lautes Stöhnen. Ich habe verloren.
    »Was für eine Party?«
    »Erklär ich dir heut Abend.«
    Ich lege auf. Das Telefon klingelt sofort wieder.
    »Was machst du heute«, fragt Kurt ohne Gruß, als ich erneut abhebe und gleichzeitig meinen Kopf wieder in eine aufrechte Position bringe.
    »Das meinst du nicht ernst, oder?«
    »Gestern wolltest du mich doch zu dieser Galerieeröffnung mitnehmen. Und heute habe ich Zeit.«
    »Aber heute ist keine Galerieeröffnung«, sage ich, immer noch erstaunt, dass Kurt abends was mit mir unternehmen will.
    »Ach, komm. Es ist doch immer irgendwas. Wo sollen wir uns treffen?«
    Warum gerade heute? Warum gerade, wenn ich von Christina zu einer wahnsinnig hippen Party eingeladen werde? Warum gerade meine beiden uncoolsten Freunde? Habe ich überhaupt Freunde, die als »cool« durchgehen würden? Vielleicht liegt es ja an mir? Ich sollte wirklich aufhören, mir ernsthaft über so etwas Gedanken zu machen.
    »Um neun am Hermannplatz«, sage ich matt zu Kurt.
    »Okay, ich bin da.« Er legt auf.
    Ich habe schon wieder verloren.

    Ein paar Stunden später steige ich am U-Bahnhof Hermannplatz aus der Bahn. Hier ist mal wieder die Hölle los, überall partywilliges Volk mit Bierflaschen in der Hand, das sich für den Samstagabend zusammenrottet. Ich sehe Gary schon von weitem mitten im Getümmel auf dem U-Bahn-Gleis, er fällt hier einfach auf, weil er keine Röhrenjeans trägt, sondern eine Bundfaltenhose und dazu ein kariertes, perfekt gebügeltes Hemd. Statt eines Stoffbeutelshängt eine alte Lederschultasche über seiner Schulter. Wie immer, wenn ich meinen unsicheren, uncoolen Chef genauer betrachte, bin ich schockiert, wie wahnsinnig gut er

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