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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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des vernünftigen Vaters zu geraten, so alt bin ich nun auch wieder nicht.
    Ich sehe mich nach Gary um. Aber er ist verschwunden.

7
Keine Angst VORM Hermannplatz
    Ich sitze zu Hause vor dem Fernseher und schaue mir eine sogenannte »politische« Talkshow an, von der ich mir eigentlich geschworen habe, sie nie wieder anzusehen, weil ich mich sonst nur unnötig aufrege. Der eine Politiker oder Showmaster oder Wissenschaftler – das kann man nicht so genau unterscheiden – sagt die ganze Zeit, dass es unter den jungen Leuten heutzutage keine echten Paarbeziehungen mehr gibt. Man wolle sich heutzutage – er sagt die ganze Zeit »heutzutage« – nicht mehr binden, sondern sei immer offen für alles und habe bei Facebook als Beziehungsstatus »Es ist kompliziert« angeklickt.
    Ich kann das nicht bestätigen, ich will mich binden und meine Freunde auch, Kurt kriegt ja sogar ein Kind – allerdings sind wir auch nicht mehr jung. Christina hingegen will, wenn ich dem Show-Wissenschaftler Glauben schenke, auf gar keinen Fall »richtig« mit mir zusammen sein. Das weiß der Show-Wissenschaftler genau, selbst ohne uns zu kennen und ohne wahrscheinlich überhaupt irgendjemanden aus der »Jugend heutzutage« zu kennen. Aber ich rege mich schon wieder auf.
    Andererseits weiß ich auch nicht, wie ich diese »Beziehung«zwischen Christina und mir nennen soll. Christina scheint dagegen über solche theoretischen Probleme weniger nachzudenken. Sie macht es einfach. Also mit mir zusammen sein. Wir haben uns jedenfalls seit der Zurück in die Zukunft -Party fast jeden Abend gesehen und waren auf noch mehr Partys und Galerieeröffnungen oder einfach nur in einer Bar und haben Unmengen Club-Mate-Wodka und No-Name-Bier in uns hineingeschüttet. Christina sogar mehr als ich, würde ich mal behaupten, obwohl sie jeden Morgen um halb acht aufstehen und gutgelaunt gen Universal fahren muss. Deswegen hat sie tagsüber nie Zeit, auch nicht am Wochenende, denn sie arbeitet eigentlich immer. Mir ist noch nicht ganz klar, was sie genau macht, mit Bands abhängen, glaube ich, und sonst eben networken, communicaten und researchen, die ganzen Anglizismen-Arbeitstechniken, die heute den altehrwürdigen Begriff »Zeit-tot-Schlagen« ersetzen. Aber ansonsten sehen wir uns jede freie Minute. Also, jede freie Minute von ihr natürlich. Wenn wir uns jede freie Minute von mir sehen würden, dann verbrächten wir ja doch den ganzen Tag zusammen, denn sogar auf Arbeit gibt es bei mir viele freie Minuten.
    Eigentlich habe ich sogar das Gefühl, dass Christina eine »echte« Beziehung zwischen uns okay findet – ganz undramatisch ausgedrückt. Das große Drama scheint mir ohnehin nicht so ihr Ding zu sein. Dass wir ein Paar sind, hat sie ja schon nach der ersten Nacht gesagt und vielleicht gar nicht nur ironisch gemeint, wer weiß. Aber ich habe keine Ahnung, ob ich es einfach aussprechen könnte: »Hey, wir sind doch inzwischen so richtig zusammen, deswegen nenne ich dich jetzt immer ›Schatz‹ und ›Hasebär‹, ja?« Wie macht man so was heutzutage, ohne dass es vollkommenpeinlich wirkt? Einfach den Facebook-Status auf »In einer Beziehung« ändern? Vielleicht würde sie mich dann auch auslachen und sagen: »Bist du verrückt, wir sind doch kein Paar, heutzutage bindet man sich nicht mehr, heutzutage ist man nicht nur im Arbeitsleben flexibel, belastbar, innovativ, kreativ und teamfähig, sondern auch in der Liebe. Hast du nicht die Talkshow mit dem klugen Show-Wissenschaftler gesehen?«
    Ich schalte den Fernseher aus und schaue auf die Uhr. Es ist zwar schon halb zehn abends, aber ich mache mich trotzdem noch auf den Weg nach Neukölln. Christina meinte heute Morgen, sie müsse ausnahmsweise mal etwas länger im Büro bleiben, da sei gerade diese Brooklyner Neo-Postrock-Band in Berlin, die sie betreuen müsse.
    »Ausnahmsweise! Du bleibst immer etwas länger«, rief ich, als sie zur Arbeit musste und ich noch im Bett lag. »Letzte Woche hat dich der vegane isländische Sänger auf Trab gehalten mit seinen extravaganten Wünschen.«
    Christina lächelte mich nur an, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass dieses Lächeln leicht herablassend war, als wollte sie sagen: Ich bin eben nicht nur Kleinanzeigenbetreuer. Meinen sogenannten Beruf habe ich natürlich nicht mehr vor ihr geheim halten können.
    Ich steige wie immer am Hermannplatz aus und schlendere in Richtung von Christinas und Dr. Albans Wohnung. In Neukölln ist heute nicht viel los, bis

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