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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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Space zu begleiten, wahrscheinlich geht Recherchieren so, ich habe ja keine Ahnung. Wir biegen in eine kleinere Straße ein, die ich noch nie in meinem Leben betreten habe. Eigentlich kenne ich nur den Weg von meiner Wohnung zur U-Bahn-Station und zum Supermarkt. Sonst halte ich mich hier nicht draußen auf. Was sollte ich dort auch machen?
    Es sind kaum Leute unterwegs, viele Geschäfte stehen leer, es gibt eigentlich nur noch Wettbüros und Teleshops, die wahrscheinlich auch Wettbüros sind, bloß illegale. Wir bleiben vor einem leeren Laden stehen.
    »Hier ist es«, sagt der Doktor. Wir suchen die dreckige Glasfront des Ladengeschäfts eine Weile ab und entdecken dann einen kleinen Zettel an der Tür: »Art Space YEAH«.
    »Yeah?«, frage ich, aber da tauchen plötzlich zwei Hipster vor uns auf, die aussehen, als wären sie gerade vom Hermannplatz hierhergebeamt worden. Irgendwie kommen sie mir bekannt vor, aber wahrscheinlich liegt das einfach daran, dass sie genauso aussehen wie alle in Neukölln.
    »Unsere Kunst muss bangen wie ein Rockkonzert, yeah!«, ruft der eine Hipster und deutet auf die leeren Räume hinter der Glasscheibe. Die beiden scheinen die Betreiber des Art Space zu sein und gerade von der Mittagspause zu kommen. Oder vom Frühstück. Wahrscheinlich machen sie einfach erst jetzt ihren Space auf, weil sie als Künstler natürlich die ganze Nacht malen und bildhauern.
    »Was für eine Ausstellung läuft denn gerade?«, fragt Dr.Alban. Manchmal bewundere ich seine stoische Ernsthaftigkeit, er scheint sich wirklich dafür zu interessieren.
    »Wir haben einen Place kuratiert, wo jeder seinen Event hosten kann«, sagt der Größere. Wie die Praktikanten könnten auch sie Brüder sein.
    Ich sehe durch die Glasscheibe in den völlig leeren und unsanierten Raum, eine einsame nackte Glühbirne baumelt von der Decke. Ungenutzte Ladenwohnungen gibt es hier an jeder Ecke. Aber, war klar, die beiden sind natürlich Kuratoren! Heute sind ja alle Kuratoren, und alles wird kuratiert: Shops, Bücher, Mix-CDs, Ikea-Einrichtungshäuser. Bald heißt es wahrscheinlich: »Ich habe heute meine Wohnung kuratiert«, wenn man mal staubgesaugt hat. Oder: »Ich habe meinen Körper kuratiert«, wenn man sich morgens die Trainingshose und das alte T-Shirt anzieht. Am Ende kuratiert man noch sein ganzes Leben: »Hm, ich glaube, ich brauche da noch ein blondes Kind, aber dazu passt der Golden Retriever nicht so gut, vielleicht doch lieber eins mit dunklen Haaren?«
    »Hier geht es um innovatives Arbeiten, um Kreativität sowie fixe und flexible Eventspaces«, ruft einer der Space-Curators und reißt mich aus meinen Gedanken. »Kunst findet nicht mehr in klassischen Räumen statt, sondern sucht ständig nach neuen realen und virtuellen Orten. Wir bieten offene, digital vernetzte und kollaborative Kunsträume, die als Inkubationsplattform für Netzwerk, Innovation und Produktion dienen.«
    »Was war das mit der Inkubation?«, frage ich. »Ich bin ja Hypochonder.« Die Art-Space-Brüder ignorieren mich einfach.
    »Wir koordinieren nur die verschiedenen Projects«, ergänztder andere noch die Rede des größeren Bruders. Vielleicht soll das auch postironisch sein, denke ich und frage mich, ob sie irgendwo Karteikarten versteckt haben, von denen sie ihre druckreifen Reden ablesen. Aber sie scheinen das alles auswendig gelernt zu haben. Und daran zu glauben. Wahrscheinlich meinen sie es nicht einmal böse.
    »Und was für ein Project läuft gerade bei euch?« Der Doktor hat immer noch nicht seine Contenance verloren, obwohl er ja extra aus Neukölln hergekommen ist. Und er verlässt Neukölln nicht oft. Ob er zum Beispiel jemals zur Uni fährt, habe ich noch nicht herausgefunden.
    »Bis jetzt gab es noch keine Projects«, sagt der eine. Dr. Alban und ich sehen uns erschrocken an.
    »Wie kamt ihr darauf, einen Space für Art Events in Tiergarten zu founden?«, frage ich nach einer kurzen Phase unangenehmen Schweigens.
    »Das ist voll die krasse Geschichte«, sagt wieder der Größere, anscheinend der Klassensprecher ihres abgespacten Space. »Vor ein paar Wochen sind wir einfach so an der Kurfürstenstraße aufgewacht, ohne Erinnerung, wie wir dorthin gekommen sind. Aber dann haben wir die ganzen leeren Spaces gesehen und gedacht: Nice, hier ist alles voll new and different. In Neukölln, wo wir vorher gelebt, ähh, gearbeitet haben, ist alles schon so crowded, aber hier kannste noch was Neues starten, yeah!«
    »Yeah«, sage ich und

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