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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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nimmt einen Schluck von seiner Kids-Latte (ohne Koffein, habe ich vorherauf der Karte gelesen und gedacht, das wäre postironisch, ist es aber offensichtlich nicht). Anscheinend hätte ich inzwischen erstaunlich gute Chancen bei jungen Müttern. Glücklicherweise sind die Kinder schlauer als ihre Erziehungsberechtigten.

    In der U-Bahn auf dem Nachhauseweg ruft Christina an. »Ich wollte gerade meinen Eltern mailen und sie fragen, wann wir sie mal besuchen können. Du kommst doch mit, oder?«
    »Ja, äh«, sage ich und räuspere mich übertrieben. Das geht ganz schön schnell, wir sind doch weder married, noch haben wir children. Aber warum nicht? Wenn es wirklich Hippies sind, wie Christina behauptet, dann wird es bestimmt entspannt, und wir können zusammen einen kiffen und dann Easy Rider gucken.
    »Wie war das Baby?«
    »Sehr, sehr, sehr, sehr niedlich.«
    »Ich finde, dass alle Neugeborenen irgendwie gleich aussehen. Richtig niedlich werden die erst so mit einem Jahr …«
    »Kurts Sohn ist jetzt schon niedlich!«, rufe ich empört.
    »Du bist ja ganz schön durch den Wind! Was habt ihr denn gemacht?«
    »Geschlafen.«
    »Geschlafen?«
    »Kurt und sein Sohn. Ich hab zugeschaut.« Die U-Bahn fährt in den Bahnhof Hermannplatz ein, und ich steige aus. Stille kommt aus dem Hörer. »Er war wirklich sehr niedlich. Das Baby, nicht Kurt.«
    »Schon klar. Niedlich also?«
    »Ja, sehr niedlich.« Ich schniefe.
    »Weinst du etwa vor Rührung?«
    »Nein«, lüge ich und steige die Treppen zum Hermannplatz hoch. »Ich denke nur schon wieder, wie schnell alles geht. Gerade waren wir selbst noch Kinder, und jetzt bekommen wir welche.«
    »Und du willst lieber noch am Kindertisch sitzen, ich weiß.«
    »Genau. Jedenfalls habe ich das Gefühl, wir arbeiten die ganze Zeit und leben so vor uns hin und merken gar nicht, wie die Zeit rennt, immer schneller, je älter wir werden.«
    »Arbeiten?«
    »Wenn man nichts tut, vergeht die Zeit sogar noch schneller. Ich spreche aus Erfahrung.«
    Ich biege in die Straße ein, wo Christina und Dr. Alban wohnen, und in diesem Moment höre ich, wie der Doktor etwas im Hintergrund sagt und Christina antwortet: »Ja, Mark hat jetzt Midlife-Crisis.«
    »Höchstens Quarterlife-Crisis«, rufe ich. »Hat Dr. Alban etwa die ganze Zeit mitgehört?«
    »Nein«, lügt jetzt Christina. »Kommst du her?«
    »Ich bin schon da«, sage ich und klingle.
    Im Treppenhaus stolpere ich über etwas, das direkt hinter der Eingangstür auf dem Boden liegt. Eine Kassette. Ich hebe sie auf und klappe die durchsichtige Plastikhülle auf. Es scheint tatsächlich ein selbstbespieltes Mixtape zu sein, wusste gar nicht, dass es so etwas noch gibt. Davon habe ich früher unzählige aufgenommen, um angehimmelte Mädchen für mich zu begeistern, aber leider wollten die lieber die Backstreet Boys hören – oder sogar Christina Aguilera, aber nie die nachdenklichen Indiesongs, die ich in stundenlangerKleinarbeit und mit ausgeklügeltem Spannungsbogen auf Band gebannt hatte.
    Ich schaue mir die Kassette genauer an. Sie ist natürlich beschriftet. Ich entziffere die krakelige Schrift: »Die Lösung all deiner Probleme.«
    Ich stecke das Tape in meinen Stoffbeutel und steige die Treppen hinauf, dabei fällt mir auf, dass ich mein Kassettendeck vor ungefähr fünf Jahren verschrottet habe. Aber Christina und Dr. Alban haben bestimmt einen Walkman bei sich rumliegen, immerhin besitzen sie auch Plattenspieler.
    Christina erwartet mich an der Wohnungstür.
    »Na, mein alter Marky, hast du dich etwas von der existentiellen Begegnung mit einem Neugeborenen erholt?«
    »Haha. Aber sag mal, hast du zufällig ein Tapedeck?«
    »Ich habe keine Ahnung, was du meinst.«
    »Na, ein Tapedeck oder einen Walkman oder so was?«
    Dr. Alban schaut aus der Küchentür in den Flur. »Was ist denn hier los?«
    »Hey Doc, du hast doch bestimmt noch ein Tapedeck an deiner Anlage, oder?«
    »Doch, ich habe schon einmal von diesen seltsamen Geräten gehört, mit denen man früher Musik abspielen und aufnehmen konnte.«
    »Du hast doch auch einen Videorekorder«, sage ich zu Christina. »Tapes sind das Gleiche wie Videokassetten, nur in klein und für Musik.«
    Christina fängt an »Watch the Tapes« von LCD Soundsystem zu singen.
    »Read all the pamphlets and watch the tapes,
    you turn twenty-five and now you’re all out of escapes.«
    Wir gehen in die Küche, wo Dr. Alban gerade einen seiner berühmten Rucolasalate »kocht«, wie er es nennt.
    »Ich hab

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