Lehmann, Sebastian
dieses Tape bei euch im Treppenhaus gefunden.« Ich zeige den beiden die Kassette mit der Lösung all meiner Probleme darauf.
»Du hast doch zu Hause bestimmt noch ein Tapedeck, du bist doch so Old School, Mark«, sagt Dr. Alban und tröpfelt ein wenig Honig auf die Rucolablätter.
»Erst Midlife-Crisis und dann auch noch Old School. Ich bin doch nicht euer Opa. Und: nein. Ich habe kein Tapedeck mehr.«
Christina tätschelt mir beruhigend den Arm. »Komisch, ich bin zehn Minuten vor dir nach Hause gekommen, aber ich habe keine Kassette im Treppenhaus gesehen.«
»Wahrscheinlich ist darauf nur die Lösung meiner Probleme.«
»Ich wusste gar nicht, dass du so viele Probleme hast, dass deren Lösung ein Neunzig-Minuten-Tape füllen würde«, sagt Dr. Alban und hobelt noch Parmesan über den Salat.
»Wenn du wüsstest«, sage ich. »Es ist alles ganz schrecklich. In zwei Tagen muss dieser blöde Tiergartenartikel fertig sein, aber bis jetzt habe ich nicht die leiseste Ahnung, was ich schreiben soll.«
Christina verschwindet in ihr Zimmer und kommt kurz darauf mit einem Walkman wieder in die Küche. Also doch. Ich stecke die Kassette in das prähistorische Gerät, aber nichts passiert.
»Neue Batterien sind drin«, sagt Christina. »Hab mir gleich gedacht, dass das Ding im Arsch ist, als ich es auf dem Mauerpark-Flohmarkt für einen Euro gekauft hab.«
Ich drücke noch einmal vergeblich auf allen Knöpfen rum. »Na, das wird dann wohl nichts mit der Lösung meiner Probleme.«
»Es ist angerichtet«, ruft der Doktor und wuchtet die riesige Salatschüssel auf den Tisch.
»Setz du dich bitte an den kleinen Tisch dahinten.« Christina deutet auf den kleinen Klapptisch neben dem Küchenfenster. »Das ist der Kindertisch.«
15
ZURÜCK in die GEGENWART
Ich sitze nervös im Kleinanzeigenbüro, die Praktikanten beobachten mich, trauen sich jedoch nicht, mich anzusprechen, obwohl sie nach neuen Arbeitsaufträgen lechzen. Die beiden haben in den letzten Tagen mehrfach den Teppichboden gesaugt (mit einem Handsauger, manchmal bin ich echt ein Sadist), meine Hemden gebügelt (habe ich selbst noch nie gemacht), ein Internet-Tutorial für perfekte Latte-Art gedreht (über hunderttausend Klicks bei YouTube innerhalb von drei Tagen, viel mehr als die Stereotypen), in einer Rede von Joachim Gauck mitgezählt, wie oft er »Freiheit« sagt (siebenundvierzigmal, Gauck leidet anscheinend an einem »Freiheit«-Tourette-Syndrom), und in einem Malen-nach-Zahlen-Buch alle Bilder ausgemalt (hat ihnen mit Abstand am meisten Spaß gemacht). Langsam sollte ich mir wirklich eine neue Aufgabe für sie ausdenken.
Aber im Moment habe ich andere Sorgen: Morgen soll ich zu Javier – die zwei Wochen sind um, und ich muss den Artikel über Tiergarten abgeben. Jahrelang habe ich auf die Gelegenheit gewartet, endlich ein richtiger, echter Journalist zu werden, und jetzt fällt mir absolut nichts ein, was ich schreiben könnte. Außer dem bescheuerten Art Spacehabe ich einfach nichts gefunden, was auf ein neues Szeneviertel hinweisen würde. Falls es in Tiergarten wirklich mit der Gentrifizierung losgehen sollte, wäre ich bestimmt der Erste, der es merken würde, immerhin bin ich doch viel Hipster-sensibler als die alte Frau aus dem Hinterhaus und die ganzen anderen seltsamen Bewohner dieses seltsamen Stadtteils. Und der Art Space ist ja eher ein Nothing Space, jedenfalls nichts, worüber man schreiben könnte. Einem echten Journalisten wäre das vermutlich egal, der würde einfach irgendwas erfinden, schließlich werden alle paar Monate neue Hipsterkieze ausgerufen, sogar in Saarbrücken und Freiburg soll es inzwischen einen Szenebezirk geben. Doch meinen Einstand in die edlen Gefilde des Qualitätsjournalismus habe ich mir anders vorgestellt. Wenn ich nur einen blöden Kassettenrekorder finden würde, könnte ich das Problemlösungstape anhören und wüsste genau, was zu tun ist.
Das Klingeln des Telefons reißt mich aus meinen Gedanken. Die Praktikanten und ich starren den altmodischen, eckigen knallroten Apparat an. Er hat sogar eine Wählscheibe. Ich kann mich nicht erinnern, dass es schon einmal geklingelt hat, seit ich hier arbeite; ich bezweifle, dass überhaupt jemand die Nummer kennt. Ich jedenfalls nicht. Wer soll schon im Kleinanzeigenbüro anrufen? Wenn einer aus der Redaktion etwas von uns will, was auch nur dreimal im Jahr passiert, dann kommt er einfach vorbei. Die Anzeigen gehen alle per Mail ein. Manchmal sogar per Post, wenn
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