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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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Kultur im Allgemeinen – sollten sich ausschließlich mit den Phänomenen der Gegenwart beschäftigen oder zumindest mit gegenwärtigen Methoden arbeiten. Alles andere ist meiner Ansicht nach: Kitsch.«
    Eigentlich wollte ich doch nur Science-Fiction-Anekdoten austauschen, so: Hey, der DeLorean hat eine lustige Vorrichtung, die aussieht wie ein Radiowecker, aber eine Zeitmaschine ist, voll witzig! Doch Doc Alban redet schon weiter:
    »Obwohl das Abarbeiten an der Gegenwart die dringlichste Aufgabe der Kunst ist, so ist sie auch die schwerste. Alle beschäftigen sich immer nur mit der Vergangenheit, schreiben Romane, die im Zweiten Weltkrieg spielen, oder drehen den tausendsten Film über die DDR. Was wir brauchen, ist Gegenwart, Gegenwart, Gegenwart! Wir müssen unsere Zeit beschreiben, unsere Welt, die immer mehr aus den Fugen gerät. Diese verdammten Fugen müssen wir beschreiben.«
    Der Doktor sieht mich aufgeregt an, wir stehen immer noch vor dem Bürohochhaus, in dem die Redaktion ist. Ich bin mir sicher, dass er recht hat. Allerdings könnte ich nicht sagen, wieso. Vielleicht beschäftigen sich die Leute lieber mit der Vergangenheit oder mit irgendeiner unrealistischen Zukunft, weil sie das von den gewöhnlichen Problemen der Gegenwart ablenkt. Weil Gegenwart immer Last und Langeweile bedeutet und natürlich viel unspektakulärer ist als die schicksalhaften Ereignisse in der Vergangenheit. Aber diese unausgegorenen Gedanken werde ich Dr. Alban lieber nicht offenbaren.
    Wir wandern zur U-Bahn-Haltestelle und steigen in die U8 Richtung Hermannstraße. Neben mir sitzt ein Jugendlicher, der entfernt an den ADS-Hip-Hopper erinnert, nur dass er nicht hibbelig ist, im Gegenteil, seine Augen hängen auf halbmast. Trotz der lauten Rap-Beats, die aus seinen weißen Kopfhörern scheppern, scheint er zu dösen. Wahrscheinlich ist er auf Ritalin. Und für einen Moment glaube ich, dass er einen Walkman in den Händen hält, aber natürlich ist es nur eine Retrohülle für sein Smartphone.
    »Ich würde gern einen Science-Fiction-Film drehen, der in der Vergangenheit spielt«, sage ich.
    Dr. Alban ringt sich schon wieder ein Lächeln ab. »Du könntest den Film ›Zurück in die Gegenwart‹ nennen.«
    Wir steigen aus der U-Bahn und schlendern auf der Weserstraße Richtung No-Name-Bar, wo Christina auf uns wartet. Als wir die Rütli-Schule passieren, hell erleuchtet und ein wenig bedrohlich hinter hohen Bäumen versteckt, bekomme ich eine SMS und fummle mein Handy aus der Tasche. Sie ist von Gary, anscheinend hat er sich wieder ein Handy zugelegt. Kurz nachdem er verschwunden war, habeich tausendmal versucht, ihn anzurufen, er ist jedoch nie rangegangen.
    Ich lese die SMS laut vor: »Weich ist stärker als hart, Wasser stärker als Fels, Liebe stärker als Gewalt. Let it flow, Mark!«
    »Der Spruch kommt mir bekannt vor, ist der nicht von Hermann Hesse? Oder nein, der ist bestimmt vom Dalai Lama«, sagt der Doktor.
    »Stimmt, der verkündet doch auch immer so was wie: »Gib nicht auf, all deine Träume werden Wirklichkeit.«
    »Aber diese Sentenz stammt doch aus DJ Bobos großem Meisterwerk ›Celebrate‹.«
    Ich frage mich, ob Gary je wieder zurückkehren wird oder ob er mir einfach abhandengekommen ist, verschwunden, wie so viele alte Freunde vor ihm. Bei Gary ging es allerdings ziemlich schnell, sonst entfremdet man sich eher langsam, die Prioritäten verschieben sich eben mit der Zeit. So ähnlich ist es auch mit Prince Ital Joe gelaufen. Und jetzt hänge ich hier mit diesen Jungspunden Christina und Dr. Alban ab. Zum Glück gibt es noch Kurt.
    Wir kommen bei der No-Name-Bar an, und Christina hat schon Club-Mate-Wodka für uns drei bestellt, die in bis zum Rand gefüllten Flaschen vor ihr auf dem Sperrmülltisch stehen. Sie selbst thront in einem Plüschsessel und aktualisiert auf dem Handy ihr Facebook-Profil.
    »Und? Viele neue Freunde?«
    »Och, dreißig oder so. Euer Video startet übrigens weiter voll durch: zwanzigtausend Klicks in den letzten drei Tagen.«
    Ich denke an den Anruf von H. P. Baxxter heute Morgen, verdränge den Gedanken aber schnell wieder. Wir sitzeneine Weile gemütlich in der No-Name-Bar, trinken noch ein paar mehr Mate-Wodka und wechseln dann über die Straße in eine andere Kneipe mit dem seltsamen Namen »Papa«, wo leider ziemlich schlechte Musik läuft, nicht die Hits der Neunziger, sondern Weltmusik oder so, aber nach zwei, drei Augustiner geht auch das. Dr. Alban ist erstaunlich

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