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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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Gentrifizierer, die unterwegs sind, um neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Viele Lichtjahre von Neukölln entfernt dringen die Gentrifizierer in Bezirke vor, die nie ein Hipster zuvor gesehen hat.«

    Ich höre auf zu tippen. Eigentlich ein guter Einstieg. Aber wie geht es weiter? Dabei fällt mir auf, dass das wirklich wie Science-Fiction klingt: »Wir schreiben das Jahr 2013.«Ich meine, wann ist die Zukunft in Zurück in die Zukunft ? 2015, glaube ich. Das ist in zwei Jahren. In zwei Jahren schweben also Skateboards, und die Autos fliegen hoch über den Straßen in der Luft. Die Autos fliegen ja immer in Science-Fiction-Filmen. Auch in Blade Runner . Der spielt 2019, checke ich schnell bei Wikipedia, in sechs Jahren kann man Roboter nicht mehr von Menschen unterscheiden, die Heimcomputer sehen allerdings aus wie riesige 4/86er und können nur Polaroidfotos ausdrucken. Am lustigsten ist allerdings Die Klapperschlange mit Kurt Russell – auch so ein Kurt –, der in einer utopischen amerikanischen Gesellschaft im Jahr 1997 spielt und natürlich auch in den Achtzigern gedreht wurde. In diesem Film ist Manhattan ein Hochsicherheitsgefängnis, aber immerhin gibt es Handys; die anderen Science-Fiction-Filme haben das tragbare Telefonieren dagegen sträflich vernachlässigt. Kurt Russell hält an einer Stelle im Film ein Handy in den Händen, das etwa so groß ist wie ein Bolzenschussgerät.
    Ob wohl die Zukunftsprognosen der Science-Fiction-Filme von heute eintreffen werden? Ich bezweifle, dass sich in ein paar Jahren gutaussehende Jugendliche in einer Reality-Fernsehshow gegenseitig umbringen, weil schrille Faschisten das als Zeitvertreib ansehen.
    Ich lese mir alle Wikipedia-Artikel zu den Filmen durch, schaue mir die Trailer auf YouTube an und klicke mich durch unzählige andere Videos. Dann fällt mein Blick auf die Uhr. Es ist halb sieben, seit einer halben Stunde habe ich Feierabend. Ein Hoch auf die Prokrastination.
    Draußen auf der Straße, vor dem Bürohochhaus, laufe ich Dr. Alban buchstäblich in die Arme. Es ist total wahnwitzig.
    »Das ist ja eine Überraschung.«
    »Na ja«, sagt der Doktor und lacht. Das sieht man nicht oft bei ihm. »Kommst du mit nach Neukölln?«
    Seit Dr. Alban weiß, dass ich mal in einer Band gespielt habe, ist er irgendwie netter zu mir.
    »Klar. Wusstest du, dass ich hier arbeite?« Ich deute auf den Bürokomplex hinter uns.
    »Ich war gerade in einem Plattenladen hier um die Ecke«, sagt der Doktor, meine Frage ignorierend, und zieht eine Schallplatte aus seinem Stoffbeutel. Der Doktor beschäftigt sich nämlich nur mit den wirklich wichtigen Dingen im Leben. Also, den Dingen, die er wichtig findet, alles andere wird ignoriert. Also im Prinzip genau dem, was »normale« Menschen eher unwichtig finden. Vielleicht ist die Konversation mit ihm deswegen immer so kompliziert.
    »Da habe ich das gefunden.« Er hält mir das erste Mini-Album der Stereotypen unter die Nase. Ich wollte es ihm ja eigentlich schenken, aber ich konnte bei mir zu Hause tatsächlich kein Exemplar mehr finden. Sogar Prince Joe hatte ich gefragt, ob bei ihm in der norddeutschen Tiefebene noch ein paar Platten von uns rumliegen, aber er antwortet nach wie vor nicht auf meine E-Mails. Wahrscheinlich will er nichts mehr mit seiner Vergangenheit zu tun haben und lebt inzwischen mit zwei Kindern, Frau, Hund und VW Passat in einem schmucken Einfamilienhaus und fährt einmal im Jahr nach Südfrankreich in den Urlaub.
    »Schau mal, was ihr jetzt wert seid.« Der Doktor deutet auf das Preisschild: 75 Euro.
    »Das hast du dafür bezahlt?«
    »Bald ist sie bestimmt noch viel mehr wert.«
    »Ich erinnere mich dunkel daran, vor ein paar Jahren einigeExemplare für fünfzig Cent das Stück an einen Second-Hand-Plattenladen verkauft zu haben.«
    »Wenn man schon früher wüsste, was in der Zukunft so abgeht, könnte man viel Geld machen.«
    »So was Ähnliches hab ich auch gerade gedacht. Science-Fiction-Filme zum Beispiel liefern seit Jahren spektakulär falsche Zukunftsprognosen. Aber ich glaube, das war schon immer so, denk an Jules Verne. Ich meine, die fliegen in einer Kanonenkugel zum Mond.«
    »Mein Ziel ist es, ausschließlich in der Gegenwart zu leben«, sagt der Doktor. Er nimmt seine Brille ab und fuchtelt intellektuell mit ihr herum. Fehlt nur noch, dass er einen Bügel in den Mund steckt und dazu die Stirn in Falten legt. »Ich finde, Literatur, Film, Theater, bildende Kunst –

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