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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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ältere Herren eine Gefährtin für den »Herbst des Lebens« suchen. Aber angerufen hat noch niemand, das ist den Leuten wahrscheinlich zu peinlich. Vorsichtig hebe ich den riesigen Hörer ab, der größer ist als mein ganzes iPhone.
    »Hallo … äh … Kleinanzeigenabteilung?«
    »Hi, spreche ich mit Mark?«, dröhnt eine motivierte Stimme aus dem Hörer.
    »Also … ja«, stammle ich.
    »Mein lieber Mark – ich darf dich doch Mark nennen?« Ich habe gar keine Zeit, die Duz-Offensive abzuwehren, denn es geht schon weiter: »Schön, mit dir zu talken, das ist echt voll nice. Ich bin von Universal, der krassen Plattenfirma, you know, und möchte dir ein fettes Angebot unterbreiten, das du gar nicht ablehnen kannst!«
    »Ein Angebot?« Ich habe keine Ahnung, was der Typ will. Geht es etwa um Christina? Ist das vielleicht sogar ihr Ex-Chef? Der mit der Gaspistole? Irgendwie hört er sich eher an wie H. P. Baxxter, der »Sänger« (ich setze ganz bewusst beim Denken hier Anführungszeichen) von Scooter. So ein junggebliebener, pseudocooler Mittvierziger mit blondierten Haaren und teuren Jeans mit extra Löchern drin.
    »Genau, Mark, that’s right! Haha. Es geht um deine Band, die Stereotypen. Ich habe auf Facebook ein Video von euch gesehen und finde es einfach total catchy. Auf so etwas hat die Welt gewartet! Wir können euch ganz groß rausbringen!«
    Bin ich jetzt völlig verrückt geworden? Oder eher: Sind alle um mich herum völlig verrückt geworden?
    »Ich habe schon versucht, deinen Bandkollegen zu erreichen, aber leider konnte ich seine Adresse nicht herausfinden.«
    »Der ist jetzt Lehrer.«
    »Lehrer? Fuck, wie alt seid ihr denn?«
    »Das halten wir geheim.«
    »Hammergeil«, ruft H. P. begeistert. »Solche gewöhnlichen Mysterien verkaufen sich immer gut. Mark, wir müssen uns dringend treffen und über unsere Strategy sprechen! Am besten du cruist einfach in unserem Headquarter an der Spree auf eine Club-Mate-Rhabarber vorbei, wir haben da eine Megadachterrasse.«
    »Äh, ja, gut. Im Moment bin ich etwas im Stress, aber ich rufe Sie an.«
    »I hope so, Mark! Sonst mache ich bei dir Dauerbelagerung, man! Wir sind echt total heiß auf euch.« Ich kann sein verbindliches Grinsen förmlich hören. »Wir bringen euch ganz groß raus!«, sagt er noch einmal.
    »Schön«, antworte ich, weil mir nichts Besseres einfällt, vielleicht sollte ich ihn noch fragen, how much the fish is? Ich hätte nicht gedacht, dass solche Plattenfirmenleute wirklich sagen: »Wir bringen euch ganz groß raus!« Wenn wir uns treffen, wedelt er wahrscheinlich mit riesigen Geldbündeln vor meiner Nase rum.
    Wir verabschieden uns, und ich lege auf. Die zwei Praktikanten starren mich ungläubig an. H. P. hat so laut gesprochen, dass sie bestimmt jedes Wort verstanden haben. Das hätten sie wohl nicht für möglich gehalten, ihr langweiliger Chef ist tatsächlich berühmt.
    »Was?!«, rufe ich, und die Praktis schauen schuldbewusst auf die Schreibtischplatte.
    Ich will Baxxters Telefonnummer vom Display abschreiben, aber das Telefon hat natürlich gar keins. Ist vielleicht besser so, das ist doch alles Schwachsinn, wahrscheinlich will mich nur jemand verarschen. Außerdem wäre das auch komisch: Christina wird von Universal entlassen, und ich bringe eine Platte bei denen raus. Ich werde ihr bessernichts von dem Angebot erzählen. Außerdem bin ich einunddreißig, da kann man doch keine Musikkarriere mehr starten. Paul McCartney war achtundzwanzig, als sich die Beatles aufgelöst haben. Das sind so die Dimensionen im Popbusiness.
    »Also, meine lieben Arturs«, sage ich, um von dem seltsamen Anruf abzulenken. »An die Arbeit!« Sofort blitzen ihre Augen vorfreudig auf. »Ihr macht euch jetzt sofort nach Tiergarten auf und haltet Ausschau nach schönen Cafés und Bars mit Sperrmüllmöbeln. Oder auch nach Galerien und Läden, die Stoffbeutel verkaufen. Oder überhaupt nach Stoffbeuteln, die nicht von dm oder Rewe sind. Okay? Morgen früh erwarte ich einen ausführlichen Bericht.«
    Die Praktikanten springen freudig auf, packen ihre Taschen und rennen aus dem Büro. Mir doch egal, dass sie nichts finden werden, Hauptsache, endlich Ruhe. Ich öffne eine neue Datei auf meinem Computer. Eine weiße, leere Fläche flimmert mich an. Die muss ich jetzt mit Wörtern füllen. Ich denke an Javier. Und an das Bolzenschussgerät. Ich beginne zu schreiben:

    »Tiergarten. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2013. Dies sind die Abenteuer der

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