Lehmann, Sebastian
gutgelaunt und lacht im Gegensatz zu Christina die ganze Zeit über meine Witze.
Nach einer Weile verabschiede ich mich kurz aus der ziemlich kleinen, vollkommen verrauchten Bar und trete auf die Straße in die warme Sommernacht. Mein Bierglas habe ich einfach mitgenommen. Ich atme die frische Luft tief ein und merke, dass ich schon ganz schön betrunken bin, außerdem ist mir ein wenig übel, und ich spiele kurz mit dem Gedanken, mich auf den Bordstein zu setzen, habe aber Angst, dann nicht mehr hochzukommen.
So richtig viel ist auf den Neuköllner Straßen nicht los, hin und wieder wankt eine Gruppe Skandinavier aufgekratzt und betrunken, aber trotzdem immer sehr gutaussehend, von einer Bar zur anderen. Sonst ist alles ruhig, nur wenn eine Bartür aufschwingt, dringen kurz Musik und Stimmen auf die Straße. Heute ist ja nicht Wochenende, und es soll tatsächlich auch in Neukölln Menschen geben, die zu normalen Zeiten arbeiten beziehungsweise: die überhaupt arbeiten.
Ich trinke das Bier aus, stelle das Glas auf den Bürgersteig vor dem Papa ab und schlendere – oder eher schwanke – ein Stück die Straße hinunter, bis ich vor dem Spätkauf gegenüber zwei Gestalten sehe. Eine von ihnen steht leicht gebückt ruhig da und raucht, die andere scheint förmlich zu vibrieren. Ich gehe näher ran und erkenne den ADS-Jugendlichen,der sich wie immer hochgradig nervös und hibbelig mit dem alten bärtigen Hertha-BSC-Neuköllner unterhält. Eine seltsame Kombination. Was die beiden sich wohl zu sagen haben? Vielleicht sollte ich mich dazugesellen und ein bisschen Smalltalk halten? Betrunken genug wäre ich.
In diesem Moment höre ich Stimmen hinter mir, irgendjemand sagt: »Ey, Alter, voll krass!« Ich drehe mich um und erkenne Christina, die auf mich zugelaufen kommt, auch schon mit ordentlich Schlagseite und ebenfalls mit ihrem Bierglas in der Hand. Der Doktor ist nicht zu sehen. Sie winkt mir zu. Ich gehe ihr entgegen, plötzlich höre ich wieder Stimmen, einen lauten Schrei und sehe im Augenwinkel ein paar dunkle Gestalten in Kapuzenpullis aus einem Hauseingang huschen.
Dann wird alles schwarz.
16
All DEINE Träume werden Wirklichkeit
Langsam öffne ich meine Augen. Es dauert eine Weile, bis sich die Umgebung scharf stellt. Mein Kopf dröhnt furchtbar. Ich blinzle und nehme verschwommen helles Licht über mir wahr. Vielleicht bin ich ja tot. Aber das Jenseits kann eigentlich nicht so furchtbar stinken. Anscheinend liege ich auf dem Boden, ausgestreckt auf dem Rücken. Ich drehe meinen Kopf und schaue auf dreckige Fliesen an der Wand. Das Muster kommt mir bekannt vor. Sind das darunter etwa Gleise? Dann kann ich endlich den Schriftzug lesen: »Kurfürstenstraße«.
Ich jetzt also auch. Irgendwann musste es natürlich auch mir passieren. Aber wurde ich wirklich verschleppt, so wie es die anderen Hipster behaupten? Ich wohne schließlich hier und erinnere mich, vor ein paar Stunden in Neukölln und ziemlich betrunken gewesen zu sein. Wahrscheinlich habe ich einfach die U-Bahn nach Hause genommen und mich dann, bevor ich mich an den Heimweg wagte, noch für ein kleines Nickerchen hier auf den Boden gelegt. Klingt bescheuert, aber na ja, das waren wirklich ein paar Club-Mate-Wodka zu viel.
Ein Kopf taucht direkt vor meinem Gesicht auf, ein Hundekopf.Ein länglicher, brauner und vor allem ziemlich hässlicher Köter mit auffällig kurzen Beinen schnüffelt an mir rum. Jetzt weiß ich auch, woher der Gestank kommt. Ich versuche den Hund zu verscheuchen, er scheint jedoch großes Interesse an meinem Stoffbeutel zu haben und versucht reinzubeißen. Schwerfällig stehe ich auf, wobei mir ziemlich schwindlig wird, und der hässliche Hund rennt davon. Ein Herrchen oder Frauchen ist weit und breit nicht zu sehen. Auf der digitalen Anzeige für die U-Bahn steht: »Betriebsschluss. Out of Order.« Die Uhr daneben zeigt drei Uhr fünfzehn.
Ich sehe mich auf dem verlassenen U-Bahnhof um. Schließen die Verkehrsbetriebe die Ein- und Ausgänge nachts nicht sogar ab? Komm ich hier vielleicht gar nicht weg? Mir ist kalt, mein Kopf dröhnt immer noch wie verrückt, und mir fällt es ziemlich schwer, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Da sehe ich Christina, die anscheinend bewusstlos auf einer Sitzbank ein paar Meter weiter liegt. Ich rufe ihren Namen, und sie öffnet langsam die Augen.
Wie sind wir bloß hierhergekommen? Ich kann mich an nichts erinnern.
Ich schleppe mich zu Christina und knie mich vor die Bank. Sie sieht
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