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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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ganz schön blass aus, ihre Haare sind verstrubbelt, das T-Shirt dreckig. Ich will gar nicht wissen, wie ich gerade aussehe. Immerhin bin ich wieder halbwegs nüchtern.
    »Geht’s dir gut?«
    »Ich glaub schon«, flüstert sie und setzt sich auf. »Aber mein Kopf tut furchtbar weh.«
    »Meiner auch.« Synchron befühlen wir unsere Hinterköpfe.
    »Fette Beule«, sagt Christina und schaut gequält.
    »Bei mir sieht’s ähnlich aus.«
    »Ich kann mich an nichts erinnern.« Sie befühlt immer noch geistesabwesend ihren Hinterkopf, steht dann auf und zerrt ihr T-Shirt zurecht. »Wo ist eigentlich mein Stoffbeutel?«
    Wir blicken uns um, und Christina entdeckt ihren Beutel in einer Mülltonne ein paar Meter weiter.
    »Wer macht denn so was? Aber es scheint noch alles drin zu sein.« Sie holt ihr Handy heraus. »Ich ruf mal den Doktor an.« Sie wählt seine Nummer. »Scheiße, sein Handy ist aus. Vielleicht liegt er hier auch irgendwo rum.« Wir suchen den ganzen U-Bahnhof ab, ohne Dr. Alban zu finden.
    »Verstehst du das?«, fragt Christina schließlich. »Was ist passiert?«
    »Wahrscheinlich sind wir hierhergefahren, nachdem wir im Papa waren.«
    Sie schüttelt ungläubig den Kopf. »Und was sollte das mit meinem Beutel?«
    Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung, ich weiß nur noch, wie ich vor dem Papa stand, dann wird alles schwarz. So wie bei Dr. Alban vor ein paar Wochen.«
    Wir gehen ratlos zum Ausgang, der zum Glück nicht abgeriegelt ist. Draußen dämmert es schon, die Vögel singen, und ein weiterer schöner Sommertag bricht an. Viel ist noch nicht los, ein paar Taxis brettern die Potsdamer Straße runter, zwei Alkis wanken aus Puschel’s Pub, der gerade zumacht, ein paar versprengte Prostituierte stehen gelangweilt vor einem Sexshop und rauchen, eine Frau schließt den Billig-Backshop gegenüber auf. Die ganz normale Tiergartentristesse.
    »Du siehst richtig scheiße aus«, sagt Christina und lacht.
    »Und du erst.« Wir küssen uns und gehen in Richtung meiner Wohnung.
    »Da hinten ist der Art Space, wo ich mit Dr. Alban war«, sage ich, als wir an der kleinen Straße vorbeikommen, die zum Space führt.
    »Lass uns mal vorbeischauen, vielleicht gibt es da inzwischen eine Ausstellung oder irgendetwas, das du für deinen Artikel gebrauchen kannst.«
    Christina wirkt gar nicht verkatert oder müde, wahrscheinlich könnte sie gleich weitertrinken. Ich dagegen sehne mich nur noch nach meinem gemütlichen Bett, aber sie zieht mich schon weiter.
    Im Art Space hat sich nichts verändert, immer noch ist der Raum vollkommen leer.
    »Da hinten ist doch was«, sagt Christina. Wir pressen unsere Gesichter an die Scheibe. Tatsächlich hängt etwas an der hinteren Wand: zwei Stoffbeutel.
    »Steht auf dem einen: ›Passt auf!‹?«, frage ich.
    »Ich glaube schon. Und auf dem anderen: ›Haut bloß ab aus Berlin!‹«
    »Soll das jetzt Kunst sein?«
    »Was weiß ich. Ich weiß gar nichts mehr.«
    Das überrascht mich jetzt doch. Ich dachte immer, ich wüsste nichts, während Christina voll den Durchblick hätte. Selbst, dass auch sie nichts mehr versteht, verstehe ich nicht. Es ist kompliziert.
    »Ich glaube das alles nicht!«, ruft Christina. »Wir sind doch nicht total besoffen mit der U-Bahn zu dir gefahren, da hätten wir sogar umsteigen müssen – und das in unserem Zustand. Warum sind wir nicht einfach die paar Meterzu mir gegangen oder meinetwegen gekrochen? Das ist doch total bescheuert.«
    »Aber warum sollte uns jemand hierher verschleppen? Das ergibt doch gar keinen Sinn.«
    »Mark, uns bleibt nichts anderes übrig, wir müssen dieser Sache nachgehen«, sagt sie plötzlich entschlossen, als wir vor meiner Haustür stehen, und macht auf dem Absatz kehrt. »Wir fahren sofort zurück nach Neukölln und suchen vor dem Papa nach Spuren.«
    »Was denn für Spuren? Außerdem ist es mitten in der Nacht. Ich will ins Bett.«
    »Quatsch, es ist schon Morgen! Und du bist Journalist, da musst du doch neugierig sein, vielleicht kannst du daraus einen Artikel machen.«
    Journalist, schön wär’s. Vielleicht sollte ich das wirklich einfach alles aufschreiben und Javier geben, hat der Doktor ja auch schon gemeint. Glaubt mir zwar keiner, aber ich hätte einen Artikel. Besser als nichts.
    Christina stürmt zurück zur U-Bahn-Station, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Die Straßen sind jetzt schon ein wenig belebter, die ersten Arbeiter und Handwerker fahren zur Frühschicht, eine Gruppe Touristen

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