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man erwarten könnte. Das hätte zudem die positive Nebenwirkung, dass die Verstärkeranlage ausfiele, wodurch der ästhetische Kollateralschaden mindestens halbiert würde. Denn der junge, unerschrockene Kollege hat selbstverständlich auch die musikalische Gestaltung diesersinnfreien Pubertätspoesie in seine meuchelnde Hand genommen.
Dazu hat er eine Band gegründet, in der „alle, die ein Instrument spielen und Lust haben, einen peppigen Schulgottesdienst zu gestalten,“ (Originalton der Schuldurchsage) mitwirken dürfen: also neun Schüler, ausgerüstet mit E-Bass, Posaune sowie Schlagzeug – der Rest Blockflöten. SECHS BLOCKFLÖTEN.
Dieses teuflische Gebräu tauft er auf „The One And Only Jesus Rockers“, eine Behauptung, von der man inständig hofft, dass sie wahr ist und auch in Zukunft wahr bleiben möge. Dafür arrangiert er beliebte Evergreens wie Beethovens Schlusschor aus der 9. Sinfonie um, dessen bombastische Euphorie er einem Unisono der Blockflöten anvertraut. Gleichzeitig unterlegt er alles mit einem Text, dessen Sinn hier leider kryptisch bleibt, mit missionarischem Eifer …
„Schwester Wasser stärke mich, schenk mir neues Leben.
Spende Trost und Zuversicht, lass mich nicht aufgeben.“
(Kurt Mikula, „Schwester Sonne“) 2
… und auch die anderen musikalischen Messzutaten lassen sich nur schwer liturgisch zuordnen. Am leichtesten fällt das noch bei „In der Weihnachtsbäckerei“, das zur Kommunionausteilung angestimmt wird.
Wer aber nun glaubt, dass irgendwer gegen diese aktualisierte Gottesdienstgestaltung protestiert, der sieht sich getäuscht. Selbst ältere Kollegen, die noch mit literarisch anspruchsvollen Liedtexten aufgewachsen sind, wie etwa die des Weihnachtsliedes „Ihr Kinderlein kommet“ …
„O seht in der Krippe, im nächtlichen Stall,
seht hier bei des Lichtleins hellglänzendem Strahl
in reinlichen Windeln das himmlische Kind,
viel schöner und holder als Engel es sind.“
(Christoph von Schmid)
… finden sich zuhauf in der Kirche ein, wobei böse Menschen behaupten, dass es sich dabei um eine Art „Florence-Foster-Jenkins-Effekt“ handelt. Auf Schüler, die mit Lady Gaga aufwachsen, haben diese ästhetischen Highlights selbstverständlich keinerlei abschreckende Wirkung und so verzeichnen „The One And Only Jesus Rockers“ enormen Zulauf – vor allem seit es sich herumgesprochen hat, dass die Proben vormittags stattfinden.
Ausgewildert : die Abiturfeier
Nach durchschnittlich neun bis zehn Jahren wird im achtjährigen Gymnasium ausgewildert. Dies ist im Allgemeinen ein Grund zum Feiern, was im Wesentlichen auf einer völligen Fehleinschätzung der Zukunft beruht.
Schüler unter sich feiern das Abitur gerne mit einem mehrtägigen, gut durchorganisierten Besäufnis. Sie wissen noch nicht, dass der Kater, mit dem sie aufwachen, mehrere Jahre anhalten wird – wenn die große Freiheit, die sie nach dem Abitur erwarten, in den Mühlen des Bachelorstudiums zermahlen wird. Gehen sie aber gleich ins Berufsleben, müssen sie häufig erkennen, dass die Selbstfindung, der sie sich in langen, öden Unterrichtsstunden hingegeben haben, am fremdbestimmten Arbeitsrhythmus eines Azubis sehr schnell scheitert. Dagegen war die Schulzeit der legendäre Ponyhof. (Wer war eigentlich jemals auf einem Ponyhof?)
Auch die Eltern machen sich bis zum Tag X völlig falsche Vorstellungen. Denn kaum hat das Kind diese Hürde geschafft, wird es erst recht teuer. Ob Studium oder Praktikum, nun geht es finanziell erst richtig an die Substanz. Jetzt tut’s richtig weh! Und das dauert! Das übliche Geschenk zum Abitur gibt da nur einen schwachen Vorgeschmack. Hier muss schon mal die gesamte Familie zusammenlegen, damit das Kind ein standesgemäßes, von der Peergroup akzeptiertes Abiturgeschenk bekommt.
Gern genommen bei den jungen Männern: die Weltreise oder die Billigvariante davon. Letztere bedeutet sechs Wochen Südostasien als Backpacker – aber mit regelmäßigem Nachschub über Western Union. Bei den Mädchen zurzeit sehr gefragt, allerdings auch nicht billig: die kosmetische Korrektur. Durch das viele Sitzen und nächtelanges Lernen hat die Figur doch stark gelitten. Fettabsaugen an Oberschenkeln und Po ist angesagt, dafür wird der Busen etwas vergrößert (Bei welcher Gelegenheit hat der eigentlich gelitten?). Und wenn man schon dabei ist, kann man auch gleich die Ohren anlegen lassen, die wahrscheinlich vom vielen Einsagen ein wenig abstehen. Dazu
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