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Lehrer-Schueler-Konferenz

Lehrer-Schueler-Konferenz

Titel: Lehrer-Schueler-Konferenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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dessen Macht ab: ohne Furcht keine Unterordnung.
    Es erscheint paradox, dass die Mehrheit der Pädagogen Abhängigkeit und Furcht bei ihren Schülern ablehnt. Hier liegt ihr Dilemma. Sie wollen furchtfreie, unabhängige, selbstständige, selbstbewusste Kinder und Jugendliche. Haben sie jedoch Schüler mit diesen Eigenschaften, müssen sie feststellen, dass Demonstrationen der Macht bei solchen Schülern keine Wirkung mehr erzielen. Eine Mathelehrerin wandte sich an ihren Schulleiter:
    Ich brauche Hilfe mit Julian. Ich bekomme ihn einfach nicht dazu zu machen, was ich will. Er macht nur, was er will. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm eine schlechte Note geben würde, wenn er sich nicht allmählich zusammenreißt, aber das ist ihm egal. Er meinte nur, das solle ich ruhig machen, er hätte schon öfter Sechsen bekommen. Dann sagte ich ihm, ich müsse ihn vom Unterricht ausschließen, und auch da zuckte er nur mit den Schultern und grinste. Ich glaube, er will, dass ich ihn rauswerfe. Was soll ich nur tun?
    Offensichtlich hat Julian keine Angst vor seiner Lehrerin. Er hat den Punkt erreicht, an dem er nicht mehr abhängig von ihr ist– und treibt sie in den Wahnsinn.
    Der allmähliche Machtschwund der Pädagogen wird in Abbildung25 dargestellt. In der Grafik sind Belohnungen durch Pluszeichen, Bestrafungen durch Minuszeichen gekennzeichnet. Bei Erstklässlern stehen dem Lehrer zahllose Belohnungsmöglichkeiten zur Verfügung, und die Kinder können durch eigenständige Anstrengungen nur sehr wenige Belohnungen selbst erlangen. Ein Schüler einer zwölften Klasse dagegen kann sich die meisten seiner Belohnungen durch eigene Aktivitäten beschaffen (Sport, Freunde oder Freundinnen, Autos, Reisen etc.). Sein Lehrer hat daher nur sehr wenige wirksame Möglichkeiten der Belohnung (eventuell Noten) und fast keine der Bestrafung (eventuell Schulverweis).

    Wen wundert es daher, dass sich Lehrer älterer Schüler angesichts dieser schwindenden Bestrafungs- und Belohnungsmöglichkeiten so hilflos fühlen. Diese Jugendlichen lassen sich dadurch nicht mehr beeindrucken. Das führt dann dazu, dass sich die Pädagogen über die » Rebellion« der Schüler, ihren mangelnden Respekt vor Autorität, ihren Widerstand gegen die Erwachsenen beklagen, und man kann häufig hören, dass mit der jetzigen Generation Jugendlicher etwas faul sei.
    Mit älteren Schülern umzugehen ist für Lehrer schwieriger, weil diese zunehmend unabhängig sind (und in der Lage, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen). Und da die meisten Lehrer weiterhin versuchen, sie mit Macht unter Kontrolle zu halten, ist es nur natürlich, dass Jugendliche mit widerspenstigem, eigenständigem, rebellischem und trotzigem Verhalten reagieren.
    Die vergangenen 40Jahre brachten eine Unmenge Literatur hervor, in der solche Phänomene wie Generationenkonflikt, Rebellion der Jugend und die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens untersucht wurden. Die meisten der aus diesen Untersuchungen hervorgegangenen Theorien konzentrieren sich fälschlicherweise auf solche Faktoren wie körperliche Veränderungen, sich entwickelnde Sexualität, neue soziale Anforderungen, den Kampf, erwachsen zu werden, etc. Sie lassen den Eindruck entstehen, dass Stress, Spannungen und Rebellion in der Entwicklung der Jugendlichen nur natürlich und normal seien.
    Wir sind dagegen überzeugt, dass eine Rebellion der Heranwachsenden, der Sturm und Drang der Jugendlichen, die Schwierigkeiten bei der Arbeit mit jungen Menschen und der sogenannte Generationenkonflikt ganz und gar nicht unvermeidbar sind. Die Lehrer-Schüler-Beziehungen in den höheren Klassen der Hauptschulen und in weiterführenden Schulen sind so sehr mit Spannungen und Stress beladen, weil die Lehrer sich Jahre vorher, als die Schüler noch jünger waren, zu sehr auf ihre Macht stützten, die sie durch Belohnungen und Bestrafungen aufrechterhielten. Die älter werdenden Schüler reagieren dann aber auf solche Methoden mit zunehmendem Ärger, mit Feindseligkeit, Rebellion, Widerstand und Trotz.
    Die Lehr kräfte, die wir in unseren Kursen ausbildeten, können es immer wieder bestätigen: Kinder müssen in der Schule nicht notwendigerweise gegen Erwachsene rebellieren. Sie werden sich jedoch mit Sicherheit gegen diejenigen Lehrer auflehnen, die ihre Machtstellung ausnutzen. Ließen die Pädagogen ihre

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