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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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lächelten, doch es legte sich der fade Geschmack der Schmeichelei über ihr Verhalten. Dann gab es erst mal einen Wodka zur Stärkung, denn der zurückhaltende deutsche Gast war weder in Tränen ausgebrochen, noch hatte er seine Arme ausgebreitet und ein Familienmitglied vor Freude zerquetscht, eine unglaubliche Enttäuschung.
    Babuschka Maja fing wieder an zu singen, bis die Tapete sich löste, und die ganze Familie Lokosimov stieg beim Refrain mit ein. Mein Vater schaute mich strafend an, also sangen wir mit, zum Glück ging unsere dadaistische Nachahmung des Russischen mit Lalala-Lauten im Gemisch der Stimmen unter.
    Als die Lokosimovs ihren Choral beendet hatten, ging erneut eine Runde Wodka durch die Reihen, die Aufnahmefähigkeit unserer Gastgeber schien unsere erheblich zu übersteigen. Anders ließ es sich nicht erklären, dass mein Vater mittlerweile anfing, ein wenig zu schielen. Erneut wurden ein Trinkspruch und eine sehr inbrünstige Begrüßung durch die Gastgeber ausgebracht.
    Das Gleiche wurde auch von meinem Vater erwartet, der nach dem zwölften Begrüßungsschnaps so voll war wie eine Haubitze aus Ostpommern. Deshalb fiel es ihm nun wohl deutlich leichter, etwas Passendes zu formulieren:
    »Liebaaa Serjeeej, liebaaaa Alexej« (er deutete mit dem Finger auf unsere Gastgeber, 30 Sekunden lang, ohne ein Wort zu sagen), »für mich und meine Frau Ingridaa« (meine Mutter lag mit dem Kopf auf dem Wohnzimmertisch und schnarchte), »und für unseren Sohn Bastian, ist es eine groooooße Ehre, hier im tschönen Mütterchen Russland zu Gast zu sein … es ist so tschööön hier!«
    Dann hob er sein Wodkaglas und rief fern irgendeines Sinnzusammenhangs: »Russia, Germany, super, super, twelve points!«
    Das war genau die gefragte Menge irren Schmalzes, nach dem unsere Gastgeber gegiert hatten, alle fingen an zu klatschten und prosteten sich fröhlich zu.
    Der restliche Abend lief dann nach dem bekannten Muster weiter, nur dass ich ab 21 Uhr keinen Alkohol mehr bekam, was mir nicht nur willkürlich, sondern auch sehr unfair vorkam.

Wo gesägt wird, da fallen Beine
    Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, sah ich zwei flattrige Gestalten in meinem Schlafzimmer umherwandeln. Unscharf und schemenhaft liefen sie scheinbar ziellos durch den Raum und gurrten meinen Namen. Es waren meine Eltern, erstaunlich früh aus Alexejs Kanisterkoma zurückgekehrt und mit dem Kopfschmerz ihres Lebens veredelt.
    Alexej war auch schon wach, sein Lungenautomat spielte ein Medley von Scooter, bis er ihn mit einem beherzten Schlag auf den Deckel wieder zur Räson brachte. Während er meinen Eltern dann etwas trübe Brühe in die Kaffeetassen goss, sprang die Wohnungstür auf und Ivan trat krachend ein. Er trug eine Anglerhose und Gummistiefel, was uns aber erst auffiel, als er seine Arme wie eine Reuse um uns legte und uns mit einem lauten »Komm, komm, davai, davai!« aus der Wohnungstür schob. Ich hatte mir nicht mal die Zähne geputzt, und meine Eltern, gerade erst frisch aus dem Delirium gepellt, machten mit ihren ungekämmten Haaren und der herunterhängenden Gesichtshaut den Anschein sehr missmutiger Muppets.
    Augenblicke später bugsierte uns Ivan in einen alten Transporter, das speckige Leder der Sitze war an manchen Enden aufgeplatzt, graugelber Schaumstoff quoll daraus hervor. Erst als wir in dem Gefährt Platz genommen hatten und der Motor röhrend ansprang, bemerkte ich, dass uns zwei weitere Personen gegenübersaßen, die uns mit glänzenden Gesichtern anschauten. Der Mann trug ein T-Shirt, auf dem ein wasserköpfiges Alien mit seinem Finger auf den Betrachter zeigte und auf dem in ausgewaschenen Filzlettern »You should believe« stand. Er hatte eine riesige Kamera umgeschnallt und kaute auf einem Müsliriegel, den er anscheinend dringend benötigte, denn sein Körper war so klein, dass man das Bedürfnis bekam, ihm umgehend einen Zugang zu legen. Die Frau neben ihm hatte die Waden eines afrikanischen Wasserochsen und war ähnlich behaart. Ihr Kopf war zum Zerbersten dick, und auch sie kaute auf einem Müsliriegel herum, während ihre rote Brille mit jeder Kaubewegung auf und ab wackelte.
    »Das sind Dschäff und Donner, aus Amerrika«, klärte uns Ivan auf. Meine Eltern bemühten ihr eingerostetes Englisch und tauschten ein paar Höflichkeitsfloskeln aus. Jeff und Donna kamen aus Iowa im Mittleren Westen, wozu meinem Vater nur einfiel, dass es dort 100 Schweine pro Bewohner gab. »Donna hat ihre 100

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