Lehrerzimmer
enttarnt sein. Bassel war inzwischen aufgesprungen und aus dem Lehrerzimmer verschwunden. Höllinger sagte: Wir bleiben so lange hier, bis sich der Schuldige gemeldet hat. Damit setzte er sich wieder. Immer noch regte sich nichts im Kollegium. Bassel kam zurück mit einem Stoß Blätter unter dem Arm, die er ans Anschlagbrett heftete. Von meinem Standpunkt aus konnte ich sehen, was in dicken Lettern auf den Zetteln stand: Klasse 5a – entfällt ab dritter Stunde, Klasse 5b – entfällt ab dritter Stunde, Klasse 5c – entfällt ab dritter Stunde – und so weiter bis zu den einzelnen Kursen der 12 und 13. Höllinger spielte unruhig mit seinem Bleistift. Bassel setzte sich wieder neben ihn, schnaufte und lockerte seinen Krawattenknoten. Die Zeit verging. Keiner rührte sich. Alle starrten still vor sich hin oder verdachtsvoll auf irgendwelche Kollegen. Nach einer halben Stunde änderte Höllinger seine Taktik. Also gut, sagte er, er wolle dem Täter einen Schritt entgegenkommen. Vielleicht sei es die öffentliche Beichte, vor welcher der Maulwurf zurückschrecke. Er, Höllinger, habe daher soeben im kleinen Führungsgremium – der Direktor blickte kurz zu Bassel, der eifrig nickte – beschlossen, jeden Lehrer einzeln zu verhören. Zu diesem Zweck wolle er sich nun in die Lehrerbibliothek begeben. Wir, die Lehrer, hätten einzeln in alphabetischer Reihenfolge zu ihm zu kommen, und zwar alle. Damit zog er sich in die Lehrerbibliothek zurück und schloss die Tür. Bassel kopierte eine Lehrerliste, brachte ein Exemplar zu Höllinger, stellte sich mit dem anderen an die Tür zur Bibliothek und rief die Lehrer einzeln auf. Ammel, begann er. Ich war es nicht, schrie Frau Ammel, ich war es nicht! Das müssen Sie dem Direktor sagen, meinte Bassel und schob sie durch die Tür. Als ich an die Reihe kam, war ich mir meiner Unschuld sicher und trat in eine vollkommen verdunkelte Bibliothek, der Direktor hatte nicht nur die Rollos hinabgelassen, sondern auch die Vorhänge zugezogen. Ich stand reglos da und fragte, wo sind Sie? Da ging eine Schreibtischlampe an, keine zwei Schritte von mir entfernt. Setzen, sagte Höllinger. Ich setzte mich. Es hat keinen Sinn zu leugnen, sagte Höllinger, ich weiß alles. Aber was denn? fragte ich gegen das Licht. Sie waren es, sagte Höllinger, Jensen hat gestanden. Jensen? fragte ich. Jensen, sagte Höllinger, hat ein ausführliches Geständnis abgelegt, er hat alles erzählt über das Treffen im Ratskeller, über die KG , na kommen Sie schon, gestehen Sie. Nein, sagte ich, ich bin unschuldig, es ist vielmehr dieser Jensen, der, der … Ja? horchte Höllinger auf … der Ihnen da etwas Falsches erzählt hat, sagte ich und hatte das Gefühl, einer Falle entronnen zu sein. Höllinger bohrte noch eine Weile nach, ehe er merkte, dass aus mir nichts herauszubekommen war. Bevor er mich entließ, zog er noch einen Zettel aus der Tasche und sagte, also gut, Kranich, schießen Sie los: Bernd Bade, 9a? Ich sagte, drei. Er fragte, Tina Willems, 10d? Ich sagte, zwei. Er fragte, Alexander Schneider, 8a? Ich sagte, vier. Er fragte, Höllinger Horst, 10d? Ich schrie, eins!
15
D raußen, ich hatte gerade tief durchgeschnauft, traf mich ein Blick von Frau Klüting. Das Verhör beim Direktor hatte mein schlechtes Gewissen angeregt, sodass ich mich entschloss, reinen Tisch zu machen. Ich trat zu Frau Klüting und sagte: Frau Klüting, ich wollte mich entschuldigen für mein gestriges Fehlen bei der Fachkonferenz. Ach ja? fragte Klüting. Ich habe es, sagte ich … vergessen. Frau Klüting antwortete in mildem Tonfall, das mache doch nichts, das sei nicht der Rede Wert, im Gegenteil, sie, das heiße eigentlich ihr Mann, habe sich bei mir für mein Fehlen zu bedanken. Ich stutzte. Wofür? fragte ich. Für das Fahrrad, sagte Frau Klüting. Ich verstand kein Wort von dem, was sie sagte, war aber erleichtert, dass dieser Kelch offenbar an mir vorübergegangen war. Ich wollte mich schon verdrücken, aus Angst, sie könnte es sich noch anders überlegen, doch Frau Klüting hielt mich zurück und sagte, aber, aber, Kranich, wollen Sie gar nicht wissen, für welches Lehrwerk wir uns entschieden haben? Ich hoffe doch G2000 , sagte ich. Alle anwesenden Fachlehrer, sagte Klüting, hätten bei der geheimen Abstimmung selbstverständlich für G2000 von Cornelsen gestimmt, die Gründe würden ja für alle erkennbar auf der Hand liegen. Aber gerade in dem Augenblick, in dem sie das Abstimmungsergebnis ins
Weitere Kostenlose Bücher