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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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Jedenfalls hatte er nichts von Mitbewohnern gesagt, und an seinem langen Ringfinger mit den stark ausgeprägten Gelenken hatte ich keinen Ring gesehen. Sollte ich ihm eine Dankeskarte in den Briefkasten stecken, oder würde er das als Einladung verstehen?
    Und wenn er der heisere Anrufer von vorhin war? Ich wusste ja nicht, wofür er verurteilt worden war. Vielleicht wegen Drohanrufen und Erpressung. Womöglich hatte er Sulo mit dem Lachs vergiftet, den er ihm gegeben hatte. In Tallinn wollte er gewesen sein. Was ein Exsträfling in Tallinn trieb, konnte man sich ja denken. Wahrscheinlich hatte er Beziehungen zu dubio-sen Pillenhändlern, die noch ganz andere Sachen auf dem Kerbholz hatten als das Vergiften von Katzen.
    Sulo schlief am Fußende meines Bettes, er atmete friedlich und sein Herz schlug gleichmäßig. Ich schaltete das Handy aus, nahm das Schlafmittel, das mir der Arzt verschrieben hatte, wusch mich, kroch unter die Decke und nahm mir einen alten, verlässlichen Krimi vor, einen, wo der schnurrbärtige Detektiv am Ende den Verbrecher entlarvt und die Liebenden zusam-menführt. Schon auf Seite fünfunddreißig schlief ich ein.
    Am Morgen war Frostwetter, die gleichgültige Sonne gab sich keine Mühe, den Reif auf dem Rasen zum Schmelzen zu bringen. In der Kälte beschlug meine Brille, ich musste sie abreiben, bevor ich mein Fahrrad an den Ständer beim Schutzhafen kettete. Dabei sah ich zufällig zu der Anhöhe hinter dem Zaun hin-
    über und entdeckte einen Mann, der mich mit einem Fernglas beobachtete. Als er merkte, dass ich ihn gesehen hatte, verschwand er im Gehölz.
    Ich ging schnell ins Haus und klopfte bei Pauli. Er telefonierte und winkte mich aus seinem Zimmer. Ich nahm das Fernglas aus dem Regal und schloss die Tür. Vom Dielenfenster in der oberen Etage hatte man einen guten Blick auf den Teil des Wäldchens, in dem der Mann verschwunden war. Ich sah eine Weile durch das Fernglas, konnte aber keine Bewegung feststellen.
    In Gedanken ging ich unsere derzeitigen Klientinnen durch: Es konnte sich bei dem Mann mit dem Fernglas nur um Pasi Leiwo handeln. Sollte ich die Polizei rufen? Allerdings traute ich mich nicht, ohne Pauli vorher zu fragen. Ich hörte das Telefon in meinem Zimmer klingeln und lief hin.
    «Frauenhaus Schutzhafen, Sozialtherapeutin Säde Vasara.»
    «Hier ist Pasi Leiwo. Ich möchte mit meiner Frau sprechen, mit Tiina.»
    «Ohne Zustimmung unserer Klientinnen geben wir keine Auskunft.»
    «Sie ist also bei Ihnen?»
    «Das habe ich nicht gesagt. Wir geben keine Auskunft, ob jemand hier ist oder nicht.»
    «Ich kann doch sicher vorbeikommen und nachsehen, ob sie da ist oder nicht?»
    «Wir lassen niemanden ins Haus, außer auf Wunsch einer Klientin.»
    «Aber wenn sie dort ist, kann sie doch nicht wollen, dass ich nicht eingelassen werde. Verdammt nochmal, nun machen Sie keinen Zirkus! Ich weiß, dass Tiina da ist!»
    Tiina hatte ihr Handy dabei, aber sie antwortete nur, wenn das Display nicht Pasis Nummer anzeigte.
    «Ich habe Tiina auf dem Hof gesehen», fuhr Leiwo fort. «Hö-
    ren Sie, ich muss mit ihr sprechen und diese bedauerliche Sache klären.»
    «Ach, Sie waren das also, der mit dem Fernglas hinter dem Zaun gestanden hat. Da werde ich wohl Anzeige erstatten müssen. Lassen Sie den Schutzhafen in Ruhe!», zischte ich und legte auf. Als Therapeutin hätte ich natürlich nicht die Beherrschung verlieren dürfen, sondern ruhig und bestimmt mit dem Anrufer sprechen sollen. Pasi Leiwo war nicht der Erste, der hinter dem Haus auf seine Frau lauerte. Bei den meisten wirkte schon die Drohung mit der Polizei, bei den Hartnäckigsten nur die Polizei selbst.
    «Wäre es vielleicht an der Zeit, Pasi mit Tiina reden zu lassen?», überlegte Pauli, als ich ihm von dem Anruf berichtete.
    «Will Tiina ihren Mann denn sehen?»

«Eigentlich nicht. Sie war gerade bei mir und hat gefragt, ob sie weiter hier wohnen kann, wenn sie wieder zur Arbeit geht.
    Sie meint, sich keinen längeren Krankenurlaub leisten zu können.»
    «Vielleicht ist das eine gute Lösung. Wir sollten sie aber nicht zu einem Gespräch mit Pasi drängen», sagte ich kühl. Nach der Arbeit hatte ich einen Termin bei der Staatsanwältin, die für den Mordfall Irja Ahola zuständig war. Der Prozess sollte in wenigen Wochen beginnen. Ich hatte Irjas Foto in meinem Zimmer an die Wand gehängt, als Mahnung, keine zweite Tragödie mehr zuzulassen.
    Die Torklingel schlug an, Pauli und ich blickten gleichzeitig auf den

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