Lehtolainen, Leena
weniger mysteriös als der Mord an ihrer Nichte.
Als könnte ich dort einen Sinn finden, ging ich wieder in Elinas und Airas Privaträume. Die Wände in Airas Kammer waren kahl, auch im Regal standen nur wenige gerahmte Fotos, eins zeigte Elina, ein anderes ein Paar mittleren Alters in Kleidern aus der Kriegszeit, vermutlich Airas Eltern.
Elinas Rosensalon wirkte verschlafen. Ich nahm ein Fotoal-bum aus dem Regal, sah Elina als Schülerin mit ihren Freundinnen, mit ihren Eltern im Ausland, in London und Paris, mit Aira irgendwo an einem Sandstrand. Das Foto war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, Elina wirkte erschöpft, die Aira von damals sah fast genauso aus wie Elina vor ihrem Tod. Das letzte Foto stammte von irgendeinem Fest und zeigte Elina als Teenager am Arm ihres Vaters, eine frühreife Schönheit im hellblauen Abendkleid. Zwei Männer im Frack, die neben ihr standen, starrten sie mit unverhohlener Bewunderung an. Ich suchte vergeblich nach Fotos von der Indienreise, von der ich nun schon zweimal gehört hatte, von der Reise, auf der Elina sich angeblich eine schlimme Uterusinfektion zugezogen hatte.
Dabei fiel mir ein, dass ich immer noch nicht bei ihrer Frauen-
ärztin angerufen hatte. Obwohl ich nach dem kurzen Genesungsurlaub eigentlich so tüchtig gearbeitet hatte wie immer, hatte ich scheinbar nicht alles im Griff. Vielleicht hatte mein Chef Recht, ich brauchte mehr Urlaub. Aber erst, wenn der Fall Rosberg aufgeklärt war. Hoffentlich war Johanna in Rosberga nicht gefährdet. Sollte ich sie woanders unterbringen?
Aber wo? Für ein Hotel reichte das Geld, das Elina ihr geliehen hatte, nicht lange, zumal sie davon bereits die Reise nach Karhumaa bezahlt hatte.
Ich entdeckte keine Indienbilder, überhaupt fand ich nur wenige Fotos, die Elina als Erwachsene zeigten. Vielleicht hatte sie keine Alben mehr angelegt. Nicht jeder will seine Erinne-rungen auf Fotos festhalten, manchen genügen die im Kopf gespeicherten Momentaufnahmen aus ihrer Vergangenheit.
Ich schaute aus dem Fenster auf die sanft abfallende Wiese.
Die Weidenzweige leuchteten rötlich, Blaumeisen suchten auf dem Hof nach Futter. Der Friede, der über der Landschaft lag, wirkte zerbrechlich, zu viele Gespenster gingen in Nuuksio um.
»Das bringt nichts, gehen wir!«, sagte ich zu Pihko. »Fahr du, ich muss telefonieren. Musst du zurück aufs Revier, oder kannst du zu den nächsten Vernehmungen mitkommen?«
»Ich hab um zwei einen Termin, aber bis dahin hätte ich Zeit.
Eigentlich«, sagte er verlegen und wich meinem Blick aus,
»eigentlich bin ich nicht gern in unserem … in meinem Büro, solange Palos Sachen noch da sind.«
Pihko riss die Tür besonders forsch auf, als müsste er mir nach diesem Geständnis beweisen, dass er kein Waschlappen war. Ich schnallte mich an und ließ mir von der Auskunft die Nummer von Elina Rosbergs Frauenärztin geben.
Als ich mich als Polizistin vorstellte, verband mich die Telefo-nistin des Ärztezentrums ohne Umschweife mit Dr.
Maija
Saarinen.
Sie hatte Elina erst vor einigen Jahren von ihrer Vorgängerin übernommen, die in Pension gegangen war. Auch Maija Saarinen hatte sich über die Form und Vernarbung des Muttermunds gewundert, woraufhin Elina von einer in Indien durchgeführten gynäkologischen Operation erzählt hatte.
»Allerdings habe ich damals überlegt … Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt sagen sollte, aber … Ich habe mich gefragt, ob nicht etwas ganz anderes dahinter steckt.«
»Was denn? Eine Schwangerschaft?«
»Na ja … Bevor Schwangerschaftsabbrüche legalisiert wurden, haben die Frauen selbst abgetrieben oder sind zu Engelmacherinnen gegangen. Dabei sind so ähnliche Narben entstanden. Aber in den Unterlagen, die ich bekommen habe, ist nichts dergleichen erwähnt … Und Frauen ihrer Generation konnten ja schon legal abtreiben, sie hätte es nicht nötig gehabt, jemanden an sich herumpfuschen zu lassen.«
»Wie kann ich Ihre Vorgängerin erreichen?«
»Leider gar nicht mehr. Sie ist vor einem Jahr gestorben.«
Eine Sackgasse nach der anderen, der ganze Fall bestand nur aus Sackgassen! Wann war Elina in Indien gewesen, Mitte der siebziger Jahre? War sie damals nicht mit Kari Hanninen liiert?
Vielleicht war sie von ihm schwanger gewesen und hatte eigenhändig abgetrieben …
Hanninens Anrufbeantworter schaltete sich schon nach dem ersten Klingelton ein. Ich hatte keine Lust, eine Nachricht zu hinterlassen.
»Wohin fahren wir eigentlich?«, fragte Pihko an der
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