Lehtolainen, Leena
Polizeimeister, den Sie uns geschickt haben, behält die Patientin ohne ihr Wissen im Auge.«
»Gut. Bei folgenden Besuchern ist erhöhte Aufmerksamkeit geboten.« Ich zählte Milla, Niina, Tarja Kivimäki, Joona Kirstilä und Johanna auf.
»Frau Säntti? Die ist gerade hier. Glauben Sie, dass sie Fräulein Rosberg gefährlich werden könnte?«
Ich seufzte. Was sollte ich darauf antworten? Der Riesenpoli-zist lag mir schwer im Magen, ich bekam Sodbrennen und hatte seltsamerweise Appetit auf Buttermilch.
»Behalten Sie alle Besucher im Auge, die Situation ist verwor-ren.« Am liebsten hätte ich Airas Krankenzimmer abhören lassen, doch dafür würde ich keine Genehmigung bekommen.
Schade, dass der Beamte nicht ständig bei Aira sitzen konnte.
Vielleicht sollte ich einige junge Polizistinnen als Ärztinnen und Krankenschwestern auftreten lassen? Ich könnte eine Hilfs-schwester spielen … Mein Gedankenspiel wurde jäh unterbrochen, als Pertsa hereinstürmte und mich daran erinnerte, dass in fünf Minuten eine Vernehmung anstand. Es ging um eine tätliche Auseinandersetzung zwischen Betrunkenen, eine erbärmliche, harmlose Angelegenheit, bei der niemand ums Leben gekommen war. Der Mann, der seinem Kumpel eine Flasche über den Kopf geschlagen hatte, wurde von einem fürchterlichen Kater geplagt, während sich das Opfer, dessen Platzwunde inzwischen genäht worden war, und die meisten Zeugen in einem geradezu euphorischen Rauschzustand befanden. Pertsa war nahe daran, die Nerven zu verlieren, ihn zu zügeln war fast schwieriger als die Feststellung des Tathergangs.
Als wir die Zechbrüder gegen drei Uhr endlich verabschieden konnten, saß unsere gesamte Abteilung, mit Ausnahme von Taskinen, im Aufenthaltsraum. Die Stimmung war gedrückt, Pihko sammelte Geld für einen Kranz zu Palos Beerdigung. Ich sollte ihnen die passenden Gedenkworte liefern.
»Bittet Jyrki darum, ich kann so was nicht. Wer von euch kann heute Abend Überstunden machen? Der Einsatz fängt um acht an.«
Die Männer wirkten ziemlich lustlos. Am Abend hatte Kiecko-Espoo, die örtliche Eishockeymannschaft, ein Heimspiel gegen die Jokerit aus Helsinki, das im Fernsehen übertragen wurde. In unserer Abteilung gab es regelmäßig hitzige Debatten über Eishockey, denn außer diesen beiden Mannschaften hatten auch HIFK, Tappara und KalPa Anhänger unter meinen Kollegen.
Wenn man mich nach meinen Favoriten fragte, erklärte ich, ich würde die Mannschaft mit den schönsten Spielern unterstützen, aber Eishockey fände ich langweilig, weil die Männer zu viel anhätten.
»Worum geht es denn?«, fragte Puupponen, der KalPa-Fan.
»Ich brauche zwei Männer, die mich ins ›Fanny Hill‹ in Helsinki begleiten. Das ist eine Sexkneipe, wir müssen eine Stripperin vernehmen.«
Im Nu war die gedämpfte Stimmung verflogen, alle brüllten um die Wette, und ich hatte plötzlich dreimal so viel Bewerber, wie ich brauchte. Das Rennen machten schließlich Puupponen, weil sein Überstundenkonto noch nicht voll war, und Pertsa –
wer weiß warum. Auf ihn hätte ich verzichten können, andererseits würde er sich von nackten Busen wahrscheinlich nicht so leicht um den Verstand bringen lassen wie die jüngeren Burschen.
Da ich in den letzten Wochen meine Kondition sträflich ver-nachlässigt hatte, fuhr ich nach der Arbeit ins Fitnesscenter nach Tapiola. Bauch- und Rückenmuskeln würden in den kommenden Monaten besonders strapaziert werden, außerdem klärten sich beim Krafttraining normalerweise meine Gedanken, viele Fragen lösten sich wie von selbst. Diesmal funktionierte die Methode nicht, obwohl ich die geraden Bauchmuskeln doppelt lang trainierte und zehn Minuten an der Beinpresse zubrachte.
Im Anschlag auf Aira hatte ich die Bestätigung gesehen, dass es sich bei Elinas Tod nicht um einen Unfall handelte, sondern um Mord. Jetzt schwand diese Gewissheit wieder. Vielleicht war Aira tatsächlich von einem Einbrecher niedergeschlagen worden, der die Villa für unbewohnt gehalten hatte. Oder hatte sie den Anschlag gar vorgetäuscht? In irgendeinem Roman von Ruth Rendell hatte ich so etwas gelesen …
Mitten in diesen Überlegungen stand plötzlich mein alter Bekannter Make vor mir und versuchte mich zu einem Bier nach dem Training zu überreden. Ich redete mich damit heraus, dass ich am Abend noch arbeiten müsste. Lange konnte ich meinen Bekannten die Schwangerschaft allerdings nicht mehr verheim-lichen, denn dass ich plötzlich abstinent geworden war,
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