Lehtolainen, Leena
Mankkaantie herrschte Chaos. Quer über die Fahrbahn stand ein Lastwagen, dessen Anhänger offenbar auf der abschüssigen Straße ins Rutschen gekommen und mit einem Kleintransporter auf der Gegenspur kollidiert war. Wie es dem Fahrer des anderen Wagens ergangen war, wollte ich lieber nicht wissen, doch ich konnte den Blick nicht von dem zer-knautschten hellgrünen Blech lösen, das unter dem Anhänger eingeklemmt war. Bei dem Mann, der gerade in einen Krankenwagen getragen wurde, handelte es sich offenbar um den unter Schock stehenden Lkw-Fahrer. Nachdem ich eine Viertelstunde im Stau gestanden hatte, wollte ich Pertsa anrufen, doch das Handy verweigerte den Dienst. Verdammtes Schrottmodell! Es war schon nach neun, als ich es endlich schaffte, in einer Einfahrt zu wenden und auf Umwegen zur Arbeit zu fahren.
Pertsa war nirgends zu sehen, von der Zentrale erfuhr ich, er sei mit Haikala im Vernehmungsraum drei.
Ich marschierte sofort hin, doch der Raum war leer. Schließ-
lich fand ich Pertsa im Aufenthaltsraum.
»Ich dachte, du hättest verschlafen, in deinem Zustand braucht man ja viel Schlaf. Ich hab den Kirstilä mit Haikala vernommen.«
»Wo ist er jetzt?«, fragte ich, ohne auf Pertsas Kommentar über meinen Zustand einzugehen.
»Wir haben ihn laufen lassen. Er war so niedergeschlagen, der arme Kerl, er weiß ja, dass ihm gleich zwei Anklagen blühen.«
»Scheiße, Mann! Ich war mit ihm noch nicht fertig. Hoffentlich hast du wenigstens sein Alibi für Dienstag überprüft.«
»Haikala telefoniert gerade herum.« Pertsa stopfte sich das letzte Stück Gebäck in den Mund, trat dicht an mich heran und flüsterte mir übertrieben geheimnistuerisch ins Ohr:
»Wann werden wir dich denn verlieren? Wann fängt dein Mutterschaftsurlaub an?«
»Hör auf mit dem Stuss!«, fauchte ich, schüttelte seine Hand ab und lief zum Aufzug. In letzter Minute zwängte er sich mit in die Kabine.
»Sicher kommst du danach nicht mehr in unsere Abteilung zurück«, bohrte er weiter.
»Ach, und warum nicht? Das Kind hat schließlich auch einen Vater«, gab ich zurück, obwohl ich wusste, wie dumm es war, Pertsa gegenüber zuzugeben, dass ich schwanger war.
»Bei unseren Arbeitszeiten kann man keine Kinder großziehen, das klappt einfach nicht. Ich kenn das doch, manchmal hab ich Jani und Jenna wochenlang nur am Frühstückstisch zu Gesicht bekommen. Das war nicht gerade angenehm.«
Der Aufzug hielt, ich lief über den Gang zu meinem Zimmer, ohne mich weiter um Pertsa zu kümmern. Er folgte mir, stoppte jedoch, als er sah, dass vor der Tür jemand auf mich wartete.
Ich hatte Recht behalten: Tarja Kivimäki war tatsächlich erschienen. Es war noch nicht einmal zehn Uhr, doch sie stand bereits vor meiner Tür, in einem leuchtend roten Hosenanzug, der einen atemberaubenden Kontrast zur blassgrauen Flurwand bildete. Sie war beim Friseur gewesen und trug jetzt statt des stumpfbraunen Pagenkopfes kurze blonde Locken.
»Guten Tag«, sagte ich und hielt ihr die Tür auf. Dieses Gespräch sollte unter vier Augen stattfinden; nur wenn Tarja Kivimäki etwas wirklich Wichtiges über Elinas Tod zu sagen hatte, würde ich einen Zeugen dazubitten und den Recorder anstellen, der auf dem Tisch stand und mich an den gestrigen Abend erinnerte. Ich hoffte, sie würde das Gespräch eröffnen.
Es war mir klar, dass ich mich auf dünnem Eis bewegte, ich hatte bereits einen offiziellen Verweis am Hals und wenig Lust, mit Tarja Kivimäki über dieses Thema zu sprechen. Sie wieder-um fing gerade damit an.
»Martti hat doch hoffentlich nicht deinen Chef angerufen?«, fragte sie, und ihre Besorgnis wirkte beinahe echt.
»Martti?«, fragte ich unschuldig zurück, doch dann mochte ich das Spiel nicht mehr weiterspielen. »Wenn du Innenminister Martti Sahala meinst, doch, ich habe seine Grüße erhalten.
Bisher hatte ich allerdings geglaubt, der Herr Minister hätte Wichtigeres zu tun, als sich um das Verhalten einer einzelnen Polizistin zu kümmern.«
»Ich war ziemlich aufgebracht an dem Abend.« Tarja Kivimä-
ki trommelte mit den heute leuchtend rot lackierten Fingernägeln auf den Aktenkoffer auf ihrem Schoß. »Ehrlich gesagt … ehrlich gesagt, habe ich Elinas Tod viel schwerer genommen, als ich zugeben wollte. Wahrscheinlich habe ich deine Drohungen ein wenig aufgebauscht, und Martti ist nun mal so bierernst.«
»Du hast also ein Verhältnis mit dem Minister, der als recht-schaffenster Mensch im ganzen Kabinett gilt. Was reizt dich
Weitere Kostenlose Bücher