Lehtolainen, Leena
hier.«
Aira schien überrascht.
»Wo sollst du denn sonst gewesen sein? Hier kommt man abends doch gar nicht weg.«
»Nee, wirklich nicht! Ich musste bei dieser Scheißkälte durch den Schnee stapfen bis zur Nuuksiontie und den Daumen raushalten, bis mich einer in die Stadt mitgenommen hat. Am Morgen bin ich mit der ersten Fünfundachtzig zurück. Da ham natürlich alle noch gepennt, außer Johanna. Die hab ich auf dem Flur gesehen. Aber die hat so Schiss vor mir, dass sie nicht mal gefragt hat, wo ich war.«
Milla sah mich herausfordernd an. Ihre Augen waren, wenn das überhaupt möglich war, noch dicker und schwärzer geschminkt als beim letzten Mal, ihre Lippen leuchteten diesmal orange.
»Scheiße, was glotzt ihr mich so an! Man darf das Haus ja wohl mal verlassen, wir sind hier doch nicht in der Strafkolo-nie!«
»Was wolltest du in Helsinki?« Aira hörte sich an wie eine Internatsleiterin, die einer ausgebüxten Schülerin die Leviten liest.
»Ich hatte Bock auf Alkohol und Männer. Und da wir gerade von Männern sprechen, ich hab Elina gesehen, als ich mich zur Nuuksiontie durchgeschlagen hab. Da spazierte sie mit ihrem dichtenden Jüngling den Hügel von Rosberga runter.«
»Um welche Zeit war das? Was hatte sie an?«
»Das muss so Viertel nach neun rum gewesen sein, ich hab nicht genau drauf geachtet.«
»Und du bist erst am nächsten Morgen zurückgekommen?«
»Ja. Ich war bei einem Typ in Kulosaari. Nach seinem Namen hab ich ihn nicht gefragt, aber ich könnte mich vielleicht erinnern, wo er wohnt, wenn ich mich anstrenge. Er war keiner, bei dem ich gern zum Frühstück geblieben wär, aber wenigstens hatte er Geld.«
»Bisher gibt es noch keinen Grund, Alibis zu überprüfen. Aber wie kann ich dich erreichen, wenn weitere Ermittlungen notwendig sein sollten?«
»Ich muss heut Abend arbeiten. Im Erotic-Club ›Fanny Hill‹ in der Helsinginkatu, herzlich willkommen zu unserer niveauvollen Show. Ich wohn in dem Eckhaus Helsinginkatu und Flemingin-katu. Ich kann mir schon denken, was passiert ist. Elina wollte mit ihrem Dichterbubi Schluss machen, der konnte das nicht ertragen und hat sie belabert, mit zu ihm zu kommen. Da hat er erst sie abgemurkst und dann sich selbst. Wahrscheinlich hat er gedacht, so würde er in die finnische Literaturgeschichte eingehen. So ähnlich wie SidVicious, oder?«
Aira hatte offensichtlich nie von der Punkerlegende gehört, aber mich brachte Millas Theorie beinahe zum Lachen.
»Soweit ich weiß, ist Joona Kirstilä höchst lebendig. Wo steckt denn Johanna?« Aira schwieg eine Weile und bat mich dann, Johanna vorläufig noch nicht zu befragen. Sie hätte ihr versichert, Elina nach dem Abendessen am zweiten Weihnachtstag nicht mehr gesehen zu haben. Die Vorstellung, mit Johanna sprechen zu müssen, war so beklemmend, dass ich gern darauf verzichtete.
Aber zu Tarja Kivimäki in Tapiola und zu Joona Kirstilä in der Lapinlahdenkatu in Helsinki musste ich noch fahren. Auch wenn Aira gestern bereits mit Kirstilä telefoniert hatte, hielt ich es für sinnvoll, mit ihm zu reden.
Die graurosa Sauna schmiegte sich westlich vom Haus an die Mauer. Aira hatte mir gesagt, die alte Sauna würde nie abgeschlossen, der Schlüssel stecke. Da sie dort bereits nachgesehen hatte, rechnete ich nicht damit, Elina zu finden, aber vielleicht etwas anderes.
Als ich die Tür öffnete, schlug mir verräucherte Luft entgegen.
Womöglich kam Milla zum Rauchen her, wenn es ihr draußen zu kalt wurde. Im Vorraum war es ziemlich warm, um die fünfzehn Grad, im Saunaraum dagegen nur etwa zwei Grad, denn hier gab es keinen Strom. Der Vorraum war spärlich möbliert. Ein kleiner Tisch mit Deckchen, eine leere Vase, zwei leere Weingläser und ein halb voller Aschenbecher. Dazu ein Stuhl und ein Bett, gut einen Meter breit, auf dem ein Liebes-paar durchaus gelegentlich eine Nacht zubringen konnte. Ein Frotteebademantel in verblichenem Blau, einige Handtücher, in einer Kommode unter dem Tisch zwei Zahnbürsten, Gesichts-creme und eine ungeöffnete Rotweinflasche. Das Bett war nur flüchtig zugedeckt. Ich hob die Decke an und fand auf dem Kissen an der Wand ein schwarzes Haar.
Vielleicht hatte Milla hier nicht nur geraucht, sondern auch ihren Mittagsschlaf gehalten.
Ich ging noch einmal zurück in Elinas Zimmer und schaute in den Kalender auf ihrem Schreibtisch. Für die letzte Woche des Jahres war nur eine feministische Radikaltherapie vermerkt, aber auch dieser Eintrag war durchgestrichen.
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