Lehtolainen, Leena
Poltern an der Treppe ließ uns aufschauen.
Johanna stand oben, blass und ausdruckslos, und starrte uns an. Vielleicht hatte sie Mittagsschlaf gehalten, denn sie trug einen nachlässig zugebundenen, blaugrauen Morgenmantel.
Einige glanzlose Strähnen hatten sich aus dem Haarknoten gelöst und umrahmten ihr Gesicht. Wegen der strengen Knoten-frisur war mir bisher gar nicht aufgefallen, dass sie Naturlocken hatte. Ihre Worte dröhnten wie von der Kanzel herab.
»Selbstmord ist Sünde! Selbstmörder kommen nicht in den Himmel! Ich habe Leevi gefragt, ob es nicht Sünde wäre, mein zehntes Kind auszutragen, wenn ich genau weiß, dass wir dann beide sterben. Wäre das nicht Selbstmord und Mord? Aber Leevi meinte, das sei Gottes Wille.«
Ich sah die aufsteigende Panik in Pertsas Augen. Keine Frage, er wollte so schnell wie möglich weg von diesen Frauen, die er allesamt als verrückt einstufte. Ich versuchte, Taskinens Blick aufzufangen, ihm die Entscheidung zuzuschieben, ob wir die Vernehmung fortsetzen sollten. Johanna kam langsam die Treppe herunter, trat zu Aira und Niina und legte mit der Selbstsicherheit einer Mutter, die daran gewöhnt ist, eine große Kinderschar zu hegen, die Arme um sie. Als sie die Augen schloss und ihr Gesicht sich entspannte, wirkte sie fast wie ein junges Mädchen. Plötzlich wurde mir klar, dass sie wahrscheinlich nur einige Jahre älter war als ich, drei- oder vierunddreißig.
Bestimmt hatte sie schon sehr früh mit dem Kinderkriegen begonnen.
»Wann können Sie aufs Polizeirevier kommen? Wir würden uns gern mit Ihnen allen unterhalten.« Taskinens Stimme klang bittend und befehlend zugleich. Wir vereinbarten einen Termin für den nächsten Morgen. Das bedeutete zwar, dass ich an einem Samstag arbeiten musste, aber daran ließ sich nichts ändern.
Vielleicht würde ich sogar die geplante Silvesterfeier bei einer Kollegin von Antti verpassen.
Auf der Rückfahrt zur Dienststelle berichtete ich Pertsa und Taskinen, was ich bisher über Elinas Verschwinden erfahren hatte. Wie erwartet bat Taskinen mich, die ersten Vernehmungen zu führen, falls sie nach der Obduktion überhaupt nötig waren.
»Möglicherweise ist an dieser Sache weiter nichts Seltsames als die Frage, warum die Frau in einer Frostnacht in Nachthemd und Morgenmantel einen Kilometer weit durch den tiefen Schnee gewandert ist. Vielleicht gibt es auch dafür eine natürliche Erklärung. Wir hätten uns erkundigen sollen, ob sie eine Neigung zum Schlafwandeln hatte. Und, Maria, ruf im Personenstandsregister die Angaben zu allen Beteiligten ab.«
»Die Rosberg war reich. Das Haus allein ist Millionen wert, und hat sie nicht einen Teil ihrer Wälder an den Staat verkaufen müssen, als das Naturschutzgebiet Nuuksio eingerichtet wurde?
Mann und Kinder hat sie keine, wer kriegt also das ganze Geld?
Die Tante? Oder irgendein Männerhasserverein?«
»Klar, der Verein Pro Kastration e.V.«, antwortete ich, musste aber zugeben, dass Pertsa einen interessanten Aspekt ange-schnitten hatte. Elina Rosberg war eine wohlhabende Frau gewesen. In welcher Branche hatte die Familie Rosberg ihr Vermögen eigentlich gemacht? In der Holz verarbeitenden Industrie? Als Erstes musste ich mich gründlich über Elina Rosberg informieren.
In meinem Dienstzimmer loggte ich mich in das Personenstandsregister ein und wartete, während die Maschine in der Datenbank nach Elina Rosberg suchte. Mein Blick fiel auf das Geschenk, das mir meine Freundinnen zum Polterabend gemacht hatten, eine Collage von Leckerbissen männlichen Geschlechts mit der Überschrift: DIE LÄSST DU DIR
ENTGEHEN! Geir Moen, Hugh Grant, Mick Jagger, Valentin Kononen … Das Bild entlockte meinen männlichen Kollegen immer wieder säuerliche Bemerkungen, was natürlich ein Grund mehr war, es an der Wand hängen zu lassen. Auf den Gedanken, mir sexuelle Belästigung vorzuwerfen, war bisher noch keiner verfallen, selbst Ström nicht. Da ich in meinem Arbeitszimmer nur selten offizielle Vernehmungen führte, hatte ich es gewagt, das Plakat aufzuhängen, obwohl es eher zu einem Teenager gepasst hätte und meiner Glaubwürdigkeit als Polizistin nicht unbedingt zuträglich war.
Endlich hatte der Computer die Suche abgeschlossen. Während ich den Datensatz ausdrucken ließ, las ich ihn gleichzeitig am Bildschirm ab. Rosberg, Elina Katrina, geboren am 26.11.
1954 in Espoo. Eltern: Gutsbesitzer Kurt Johannes Rosberg, geb. 1914, und Frau Sylva Katrina Rosberg, geb. Kajanus, geb.
1920.
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