Lehtolainen, Leena
zum Sender gefahren.«
»Wer außer Ihnen kannte die Codenummer?«
»Aira natürlich, sicher auch Johanna, sie ist schon so lange in Rosberga. Aber im Allgemeinen wird sie nicht bekannt gegeben, damit keine ungebetenen Gäste erscheinen.« Mein Telefon klingelte, und Tarja Kivimäki erhob sich sofort, als wollte sie von der Unterbrechung profitieren. Ich bat den Anrufer, einen Moment zu warten, stand auf, reichte Tarja Kivimäki die Hand und versprach, sie zu informieren, wenn es Neuigkeiten gab.
Vielleicht würde keine weitere Vernehmung mehr nötig sein.
Beim Hinausgehen warf sie einen amüsierten Blick auf meine Delikatessensammlung und rief mit überraschend mädchenhaf-ter Stimme:
»Gute Auswahl! Hugh Grant hat in meinen Augen allerdings seine Glaubwürdigkeit verloren.«
Ich zuckte als Antwort mit den Schultern und griff nach dem Hörer. Am Apparat war der Pathologe, der Elina untersuchte und bereits ein erstes Ergebnis für mich hatte: An Elinas Oberschenkeln, Rücken und Gesäß befanden sich Kratzer und Abschürfungen, die zu einem Zeitpunkt entstanden waren, als sie noch lebte, aber offenbar bewusstlos war. Der Pathologe und die Techniker waren zu dem Schluss gekommen, dass man sie durch den Wald geschleift und unter den Baum gelegt hatte. Was die Bewusstlosigkeit verursacht hatte, wusste der Pathologe noch nicht, versprach mir aber die Laborergebnis-se für den nächsten Morgen.
Als ich auflegte, überfiel mich eine Welle von Übelkeit. Durch den Wald geschleift. Es handelte sich also zumindest um fahrlässige Tötung, eher um Schlimmeres. Sah so aus, als hätte ich wieder einmal einen viel zu komplizierten Mord mit viel zu vielen unangenehmen Verdächtigen am Hals.
Vier
»Ja, ich bin mir ganz sicher, dass es dieser Dichter war, mit dem Elina am zweiten Weihnachtstag abends durch den Wald gegangen ist«, stöhnte Milla Marttila ins Telefon und gähnte ausgiebig. Es war Samstag, einen Tag vor Silvester, kurz nach neun Uhr morgens. Mein Anruf habe sie geweckt, seufzte sie, sie habe bis vier Uhr früh gearbeitet. Offenbar war sie nicht allein, denn im Hintergrund war leises Schnarchen zu hören.
»Kennst du Joona Kirstilä?«
»Der war ein paar Mal als Kunde bei uns. Elina hat er davon bestimmt nichts erzählt. Den Kerl kann man nicht verwechseln, so klein und mickrig, wie der ist, neben Elina sieht er aus wie ein Gnom. Außerdem trägt er ewig diesen roten Schal, damit auch ja alle mitkriegen, dass er ein Dichter ist. À la Edith Södergran.«
»Was? Ach ja, diejenige, die meinte, Dichter sollten einen roten Umhang tragen. Magst du Södergrans Gedichte?«
»Du glaubst natürlich, ’ne Stripperin versteht nix von Lyrik.
Überhaupt kannst du mich mal, ich will jetzt schlafen. Ich …«
»Komm um eins zu mir ins Polizeigebäude. Ich brauche deine offizielle Aussage, dass du Elina mit Kirstilä gesehen hast an ihrem … an dem Abend, als sie verschwunden ist.«
»Wohin? Zur Polizei nach Espoo? Ich hab keinen blassen Schimmer, wo die ist!«
Ich versuchte Milla zu erklären, wo sich die Dienststelle befand, aber sie brüllte, sie würde nie im Leben in den »beschis-senen Hinterwald« finden. Also versprach ich ihr, sie von einem Streifenwagen abholen zu lassen. Wenn Milla um eins kam, nahm ich mir am besten anschließend Kirstilä vor. In einer Stunde sollte ich Aira in der Eingangshalle abholen und sie zur Leichenschauhalle im Gerichtsmedizinischen Institut bringen.
Bei dem Gedanken wurde mir wieder schlecht, ein dumpfes Pochen in den Schläfen gesellte sich dazu. Müdigkeit lag auf meinen Augen wie feuchte Watte. Ich hatte in der letzten Nacht unruhig geschlafen, hatte abwechselnd von Elina und vom Schwangerschaftstest auf der Toilette des Polizeigebäudes geträumt. Auf der Heimfahrt am gestrigen Abend war mir nämlich eine neue Erklärung für meine ständige Müdigkeit eingefallen. Ich hatte im Kalender nachgeschaut – meine letzte Periode lag tatsächlich schon sechs Wochen zurück. So eine Spirale war nicht hundertprozentig sicher.
Ich musste heute Zeit finden, in der Apotheke einen Test zu kaufen.
Ich versuchte, nicht mehr daran zu denken, bisher war es ja nur ein Verdacht. Trotzdem hatte ich mir gestern mein Feier-abendbier verkniffen, obwohl Elinas Tod mich durstig gemacht hatte. Es fiel mir beinahe leichter, über den Mord nachzudenken, als über eine mögliche Schwangerschaft und ein Kind. Einen Mordfall konnte man lösen und dann ein für alle Mal abhaken.
Ein Kind dagegen
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