Lehtolainen, Leena
war aus anderem Holz geschnitzt …
»In welchem Stadium befinden sich die Ermittlungen?«
»Von Ermittlungen kann erst die Rede sein, wenn bei der Obduktion Hinweise auf Fremdverschulden gefunden werden.
Aber für alle Fälle kann ich Sie natürlich jetzt schon nach Ihrer letzten Begegnung mit Elina Rosberg fragen. Sie waren am Abend des zweiten Weihnachtstages in Nuuksio?«
»Ich habe die Feiertage dort verbracht. Weggefahren bin ich vorgestern früh, also am Morgen nach dem zweiten Weihnachtstag. Ich hatte Dienst.«
Es erschien mir seltsam, wie gefasst Tarja Kivimäki war. Aira Rosbergs Aussage zufolge war sie seit Jahren eng mit Elina befreundet, daher hätte man annehmen können, dass die Nachricht vom Tod ihrer Freundin sie erschütterte. Aber die Frau, die mir gegenübersaß, war so kühl, als berichte sie über harmonisch verlaufende Tarifverhandlungen.
»Ist über Weihnachten etwas vorgefallen, was erklären könnte, warum Elina Rosberg im Nachthemd mitten im Wald lag?«
Es schien, als fühlte sich Tarja Kivimäki in ihrer neuen Rolle nicht wohl, für gewöhnlich war sie ja diejenige, die die Fragen stellte.
»Es herrschte eine recht gespannte Atmosphäre. Ursprünglich hatten wir zu dritt feiern wollen, nur Aira, Elina und ich. Aber Johanna Säntti und Milla Marttila waren nach irgendeinem Kurs einfach dageblieben. Elina hat immer schon allerlei arme Häschen unter ihre Fittiche genommen, so wie sich andere streunende Hunde ins Haus holen. Zum Beispiel diese Niina Kuusinen. Ein typisches Exemplar von einem Menschen, dessen einziges Leiden ein unermesslicher Egozentrismus ist. Echte Probleme hat nur Johanna Säntti. Und auch sie müsste lediglich die Scheidung einreichen und das Sorgerecht für ihre Kinder fordern, das ist alles.«
»Wie lange kannten Sie Elina Rosberg?«
»Sechs Jahre. Ich war früher Redakteurin beim A-Studio und habe einmal eine Sendung über sexuellen Missbrauch an Kindern gemacht. Das war damals ein ziemlich aktuelles Thema. Elina war eine derjenigen, die ich interviewt habe. Wir waren von Anfang an auf derselben Wellenlänge. Sie war eine hervorragende Interviewpartnerin.«
»Ich erinnere mich noch gut an die Sendung.« Ich steckte damals mitten im Jurastudium, und unser Professor für Strafrecht hatte einen der Inzestfälle aus der Sendung herangezogen, um uns zu demonstrieren, wie schwierig Prozesse zwischen Familienmitgliedern sind: Die volljährigen Töchter einer amerikanischen Familie hatten ihren Vater nachträglich wegen Vergewaltigung angezeigt, aber Mutter und Bruder hatten sich geweigert, gegen den Vater auszusagen. Ich wurde immer noch wütend, wenn ich an den Fall dachte.
»Elina war ein sehr vernünftiger Mensch. Es ist ganz unvorstellbar, dass sie ohne warme Kleidung aus dem Haus gegangen wäre, vor allem bei dem schlimmen Husten, den sie hatte. Ich kann mir keinen anderen Grund dafür denken, als dass jemand in sehr großer Not war. Und trotzdem … Ein Außenstehender wäre ja nicht einmal in die Nähe des Hauses gelangt. Das Tor ist immer verschlossen.«
»Warum eigentlich?«
»Elina wollte keine Eindringlinge, vor allem keine Männer. Es sollte in Espoo wenigstens einen Ort geben, wo Frauen nicht von Männern belästigt werden. Ab und zu randalieren Betrunkene aus Soivalla am Tor oder Halbstarke, die eine Wandertour in Nuuksio machen. Es scheint die Männer ungeheuer zu ärgern, dass es Orte gibt, zu denen sie keinen Zutritt haben.«
»Ganz recht. Wenn wir noch einmal auf den Abend des zweiten Weihnachtstages zurückkommen. Wann haben Sie Elina zum letzten Mal gesehen?«
»Wir haben in der Bibliothek vor dem Fernseher gesessen, Aira und ich. Ich glaube, Niina Kuusinen war auch dabei. Ein alter Film mit Marilyn Monroe, sentimental und lustig. Elina kam zwischendurch herein und sagte, sie wolle einen kleinen Spaziergang machen, weil sie Kopfschmerzen habe. Wir wollten sie davon abbringen, weil sie so erkältet war, aber sie ging trotzdem. Typisch Elina! Es war sinnlos, sie überreden zu wollen, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Als der Film zu Ende war, bin ich schlafen gegangen, weil ich am nächsten Morgen früh aufstehen musste. Am Morgen war ich dann noch an Elinas Tür. Wenn sie wach gewesen wäre, hätte ich mich verabschiedet und mich für ihre Gastfreundschaft bedankt, aber im Türspalt war kein Licht zu sehen. Elina hatte mir die Codenummer für das Tor gegeben, sodass ich das Grundstück verlassen konnte. Ich bin dann nach Pasila
Weitere Kostenlose Bücher