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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Weiss wie die Unschuld
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Techniker hatten einen breiten Pfad in den Schnee getrampelt, und ihre Schlitten, mit denen sie die schwere Ausrüstung transportierten, hatten die Schneedecke stellenweise aufgerissen. Wir kamen viel zu schnell voran, ich überlegte fieberhaft, was ich Aira sagen sollte, und dachte gleichzeitig über das zweite Problem nach: das Männerverbot in Rosberga.
    »Sollen wir im Auto warten? Die Weiber lassen uns ja nicht rein«, fragte Pertsa, als wir den Hügel zum Gutshaus hochbret-terten. Er schien über die Hausordnung bestens informiert zu sein.
    »Das wäre wohl nicht besonders sinnvoll.« Ich stieg aus und klingelte. Aira hatte unsere Ankunft offenbar auf dem Überwa-chungsmonitor beobachtet, denn sie kam nicht ans Tor, sondern öffnete es vom Haus aus. Als erste Männer seit einem Jahrzehnt hielten Taskinen und Ström Einzug in Rosberga.
    Die Haustür öffnete Aira immerhin persönlich. Ihr Gesicht war seit unserer letzten Begegnung gealtert, ihr Rücken gebeugt. Sie wusste, weshalb wir gekommen waren, ihre ersten Worte bestätigten es:
    »Elina ist also gefunden worden. Wo?«
    Taskinen sagte es ihr und betonte, dass wir noch nicht wüssten, wie sie unter den Baum gelangt sei und ob ein Verbrechen vorläge. Aira starrte mit leeren, tränenlosen Augen an ihm vorbei. »Kann ich sie sehen?«, fragte sie schließlich, und ich beeilte mich zu erwidern, dass wir eine offizielle Identifizierung benötigten.
    »Bringst du es über dich, gleich mitzukommen, oder möchtest du lieber bis morgen warten? Wir müssen dich auf jeden Fall noch einmal vernehmen und alle anderen, die am Abend des zweiten Weihnachtstags hier in Rosberga waren.«
    Aira wollte gerade antworten, als von oben plötzlich ein hysterisches Kreischen zu hören war, dann schlug eine Tür zu, und Niina Kuusinen kam schreiend die Treppe heruntergerannt.
    Bei unserem Anblick hielt sie inne, warf sich dann aber auf Pertsa und kreischte:
    »Hier dürfen keine Männer rein!« Niina versuchte Pertsa zur Tür zu bugsieren, doch der Versuch war zum Scheitern verurteilt, denn gegen Pertsa mit seinen eins neunzig und hundert Kilo Lebendgewicht kam selbst eine verhältnismäßig große Frau wie Niina nicht an. Ich riss sie zurück, hauptsächlich, damit mein Kollege ihr nicht wehtat.

    »Niina!« Schmal und scharf wie ein Speer durchschnitt Airas Stimme das Getöse. »Diese Leute sind Polizisten. Sie haben Elina gefunden.«
    Niina hielt in ihrer Bewegung inne, erschlaffte in meinen Armen, spannte sich dann aber wieder. Aira ließ ihr keine Zeit, Fragen zu stellen, sondern fügte mit ihrer neuen, stechenden Stimme hinzu:
    »Elina ist tot.«
    Niina sackte in sich zusammen und brach in verzweifeltes Schluchzen aus. Ich wunderte mich, wie schnell ihre Reaktion einsetzte: Im Allgemeinen dauert es eine Weile, bevor ein Mensch erfasst, was geschehen ist. Aira nahm Niina in den Arm und murmelte tröstende Worte. Eigentlich war Aira diejenige, die Trost gebraucht hätte. Doch sie machte den Eindruck einer Frau, die daran gewöhnt war, ihre eigenen Bedürfnisse hintan-zustellen und erst später zu weinen, allein in ihrem dunklen Zimmer.
    Auch mir kamen fast die Tränen, aber ich floh in Aktionismus:
    »Ist von denen, die sich am zweiten Weihnachtstag hier aufgehalten haben, noch jemand im Haus?«
    Meine Stimme war kalt und schneidend, sie klang in meinen Ohren kreischend wie eine bremsende Straßenbahn. Aira sah mich kurz an.
    »Johanna ist in der oberen Etage. Möchten Frau Hauptmeister ihr persönlich die Nachricht überbringen?«
    Es war eine boshafte Frage, die durch die förmliche Anrede noch bissiger klang. Außerdem war ich im Umgang mit Johanna unsicher. Vor gläubigen Menschen war ich immer zurückge-scheut, vielleicht fürchtete ich mich vor ihrem Fanatismus, den ich gelegentlich auch bei mir selbst beobachtete. Und ich fürchtete mich vor Johannas zerrissenem Blick, der in eine Welt führte, in die ich selbst nie geraten wollte.

    »Das übernehme ich selbst«, erwiderte ich mit hochgerecktem Kinn. »Wie steht es mit der Identifizierung?«
    »Wenn man mir ein paar Stunden Zeit lässt, kann ich mitkommen.« Auch in Airas Stimme lag Kampfgeist. »Aber jetzt brauchen mich Niina und Johanna.« Niina, deren heftiges Schluchzen zu einem kläglichen Winseln abgeflaut war, hob das Gesicht von Airas Schulter.
    »Wo hat man Elina gefunden?«
    Ich sagte es ihr, beantwortete alle Fragen, so gut ich konnte, und versprach, mehr mitzuteilen, sobald der Obduktionsbericht vorlag. Ein

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