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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Weiss wie die Unschuld
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selbst bin erst vor ein paar Jahren bei einer Pharmakologietagung darauf gestoßen. Damals ging es allerdings nicht um einen Todesfall, sondern um achtundvierzig-stündigen Schlaf. Aber wenn Frost hinzukommt, ist der Effekt tödlich.«
    Meine Gedanken überschlugen sich. Antibiotikum, Beruhigungsmittel, Alkohol … War Elinas Tod auf Unwissenheit zurückzuführen? Aber warum war sie im Nachthemd durch den Schnee gegangen?
    »Hätte das Beruhigungsmittel in Kombination mit Alkohol auch ohne das Antibiotikum zu Bewusstlosigkeit geführt?«, fragte ich.
    »Vielleicht vorübergehend, wahrscheinlich aber nicht lange genug für den Erfrierungstod. Das ist allerdings schwer zu sagen, die Wirkung von Medikamenten und Alkohol ist indivi-duell verschieden. Außerdem spielt die Temperatur eine Rolle.
    Über Weihnachten herrschte strenger Frost, und sie ist offenbar während der Nacht verschwunden, nicht wahr?«
    »Genau.« Der Fall wurde immer seltsamer. Hatte jemand versucht, Elina in Tiefschlaf zu versetzen? Jemand, der von dem Antibiotikum nichts wusste?
    »Na gut. Ich komme in einer halben Stunde zur Identifizierung. Rosbergs Tante kommt mit, ich frage sie nach dem Medikament und dem Arzt. Aber lass sie die genaue Todesursache noch nicht wissen, denn …«
    »Sie steht unter Verdacht?«, meinte Kervinen eifrig, als befinde er sich in einem Kriminalroman. Das war seine Methode, seinen Beruf zu ertragen, er hielt die Fälle auf Distanz, betrachtete die Leichen als faszinierende Rätsel, die nie lebende Menschen gewesen waren. Anders als viele seiner Kollegen riss er keine makabren Witze und versuchte nicht, seine Gesprächspartner durch derbe Worte zu schockieren. Es schien ihm einfach Spaß zu machen, den Hilfsdetektiv zu spielen.
    »So könnte man vielleicht sagen. Hör mal, darf ich dich noch was Persönliches fragen? Ist es gefährlich, wenn man eine Spirale hat und schwanger wird?«
    Aus dem Hörer drang verlegenes Hüsteln.
    »Ich bin Pathologe, in der Gynäkologie bin ich nicht so be-wandert. Warte mal … du solltest zum Arzt gehen. Also …«
    Kervinen wirkte irgendwie ratlos. Ich überlegte, ob er selbst Kinder hatte oder ob alles, was mit Schwangerschaft und Geburt zusammenhing, ihm immer fremd gewesen war, ob sein medizinischer Eifer ausschließlich den Toten galt.
    »Ja, das werde ich wohl tun müssen. Also dann, bis bald. Ich muss jetzt die Zeugin zur Identifizierung abholen.«
    Ich fuhr den Wagen vor die Eingangstür. Im Vestibül erwartete mich neben Aira Rosberg auch Johanna Säntti. Neben der verhärmten Johanna wirkte Aira groß und stattlich, doch auf beiden Gesichtern lag dieselbe Trauer, starr und öde. Aira trug den schwarzen Persianer, den ich in Rosberga an der Garderobe gesehen hatte, und einen tief ins Gesicht gezogenen Hut aus demselben Material. Johannas faltenloses Gesicht stand in merkwürdigem Kontrast zu ihrer Kleidung, einem dunklen, sackartigen Mantel und einem schwarzgrau gemusterten Kopftuch.
    »Ich habe Johanna mitgebracht. Sie sagt, sie habe der Polizei etwas mitzuteilen«, erklärte Aira.
    »Möchtest du hier warten? Wir bleiben nicht lange weg. Oder willst du lieber mitkommen und dort warten?« Es störte mich, dass ständig andere für Johanna sprachen, zuerst Elina und jetzt Aira. Bei der Vernehmung musste sie jedenfalls selbst reden.

    »Ich komme mit.« Ihre Stimme war immer noch irritierend nervös und piepsig, aber wenigstens sprach sie. Ich führte die Frauen zum Wagen, beide setzten sich auf die Rückbank. Wir fuhren durch die Dämmerung zur Turkuer Autobahn und weiter zum Gerichtsmedizinischen Institut.
    »Es handelt sich nur um eine Formalität, wir wissen ja, dass es Elina ist«, sagte ich in Richtung Rückbank und gab mir Mühe, ruhig und tröstend zu sprechen. Es hatte wieder angefangen zu nieseln. Im Radio war für Südfinnland eine lange Tauwetterpe-riode vorhergesagt worden, die wahrscheinlich den ganzen Schnee, der im Dezember gefallen war, zum Schwinden bringen würde. Ein vorbeirauschender Kleintransporter klatschte mir den Matsch, der sich in den Fahrrinnen gesammelt hatte, an die Windschutzscheibe, sodass ich ein paar Sekunden blind fuhr, bevor ich auf die Idee kam, die Scheibenwischer anzustellen.
    Der Lieferwagen lag mindestens dreißig Kilometer über dem Tempolimit, aber das war mir jetzt egal.
    »Mach dir keine Sorgen. Ich war dabei, als meine Eltern starben, und bei Elinas Eltern habe ich auch am Totenbett gesessen.« Es klang beinahe so, als wollte sie sich

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