Lehtolainen, Leena
der wir suchten, auch Elinas Taschenlampe an sich genommen haben. Ich musste Aira fragen, ob in Rosberga eine fehlte.
Dort brannte jetzt mehr Licht, als hätte Aira die Lampen angeknipst, damit wir den Weg fänden. Von der Mauer um-schlossen, wirkte das Haus einladend und warm, wie ein sicherer Hort, an dem uns weder die Kälte noch Halttunen etwas anhaben konnten. Doch das war natürlich eine Illusion, das Böse hatte die Mauer längst überwunden, hatte sich in Rosberga eingeschlichen und Elina in den Tod gelockt.
»Taschenlampen? Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, sagte Aira, als wir vor dampfenden Teetassen in ihrer Küche saßen. Palo beäugte seine Tasse misstrauisch, vielleicht musste er an meine Theorie denken, Aira habe ein Beruhigungsmittel unter Elinas Whisky gemischt. Ich wärmte mir die Hände an der Tasse und hielt sie ab und zu an meine eiskalten Wangen.
»Wir haben mehrere Taschenlampen, für den Fall, dass Kursteilnehmerinnen einen Abendspaziergang machen möchten.
Wie viele es genau sind, weiß ich selbst nicht, aber ich kann natürlich alle einsammeln und versuchen zu schätzen, ob es weniger geworden sind.«
»Du hast am Abend des zweiten Weihnachtstages ein Schlafmittel genommen. Hast du es vielleicht mit Whisky heruntergespült?«
»Mit Whisky?« Aira schien völlig verblüfft zu sein. »Ich trinke kaum Alkohol. Manchmal ein Glas Wein oder ein Schlückchen Cognac, Whisky habe ich nur einmal in meinem Leben probiert.«
»Trank Elina Whisky?«
»Ja, aber sie nahm es sehr genau mit der Marke, sie trank nur schottischen, und am liebsten Maltwhisky. Ich habe ihr ab und zu eine Flasche Laphroaig gekauft.«
»Ist zurzeit welcher im Haus?«
»Ganz sicher. Ich hatte ihr eine Flasche zu Weihnachten geschenkt. Moment mal.« Aira stand auf und öffnete einen Hängeschrank, in dem mehrere Flaschen Rotwein, eine halb leere Flasche Meukow und eine fast volle Flasche Laphroaig standen. Ich spürte den rauchigen Geschmack geradezu auf der Zunge, schob die Vorstellung jedoch schuldbewusst beiseite. Bis Ende August waren mir derartige Genüsse verboten – sogar noch länger, falls ich mein Kind stillte.
»Wer soll die nun austrinken? Elina hat am Heiligen Abend mit Tarja Kivimäki ein Glas davon getrunken, vielleicht möchte Tarja die Flasche haben«, sinnierte Aira. »Ich habe den ganzen Tag Briefe geschrieben und telefoniert, um die angekündigten Kurse abzusagen. Ich habe niemanden, der Elina ersetzen könnte. Ich weiß ja nicht einmal, was aus Rosberga wird.«
»Wenn Elina es in ihrem Testament nicht anders verfügt hat, fällt doch alles an dich«, sagte ich schärfer als beabsichtigt.
»Ja …« Aira stellte die Whiskyflasche in den Schrank zurück.
»Es wäre auch ein seltsames Gefühl, das Haus verlassen zu müssen. Ich habe praktisch mein ganzes Leben lang hier gewohnt. Nach der Schwesternschule habe ich eine Zeit lang in der Klinik in Meilahti gearbeitet, aber dann wurde mein Vater krank, später auch meine Mutter. Ich habe beide gepflegt.
Danach habe ich mich jahrelang um Elinas Mutter gekümmert, sie hatte Leukämie. Mein Bruder, also Elinas Vater, hätte das nicht allein geschafft. Als er gestorben ist, vor zehn Jahren, haben Elina und ich den größten Teil des Ackerlands verkauft.
Ein paar Jahre habe ich dann noch gearbeitet, bevor ich pensioniert wurde, Elina hatte mir eine Stelle in einem privaten Altersheim in Leppävaara besorgt, nah genug, dass ich hier wohnen bleiben konnte. Ich bin in diesem Haus geboren und würde gern auch hier sterben. Aber …«
Sie unterbrach sich, als die Tür aufging und eine Frau eintrat.
Auf den ersten Blick erkannte ich sie kaum wieder, sosehr hatte sich Johanna Säntti verändert. In den Jeans und mit offenem Haar hätte man sie von weitem für ein Schulmädchen halten können. Doch ihre Augen waren die einer alten Frau, umrahmt von einem Netz dünner Fältchen.
»Johanna reist morgen ab, zu einem Besuch in ihrer Heimat«, sagte Aira.
»Gut, dass ich das erfahre. Wirst du lange bleiben?«
»Wohl kaum. Ich werde mir in Oulu ein Hotelzimmer nehmen und mit dem Bus hin- und herfahren müssen.« Auch Johannas Stimme hatte einen neuen Klang, ich glaubte verhaltenen Zorn herauszuhören.
»Kannst du denn nicht bei euch zu Hause übernachten?«
»Das wird Leevi nicht zulassen, zumal ich ihm sagen werde, dass ich die Scheidung eingereicht habe. Auch meine Eltern wollen mich nicht sehen. Meine jüngere Schwester Maija-Leena ist offenbar bei uns
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