Lehtolainen, Leena
saß. Da ich das Geräusch inzwischen erkannt hatte, fürchtete ich mich weniger als er, auch wenn es nicht ratsam war, sich mit einem wütenden Elch anzulegen. Zudem schien es sich dem Gepolter nach gleich um zwei Elche zu handeln. Wir konnten nur hoffen, dass sie uns nicht über den Haufen rannten, dass sie ebenso viel Angst vor uns hatten wie wir vor ihnen.
»Steck die Waffe weg, Elche haben im Moment Schonzeit«, sagte ich bemüht locker. Es waren längst nicht mehr die Elche, die mir Furcht einjagten, ihre Schritte verklangen bereits in der Dunkelheit. Mich schreckte die Panik in Palos Augen, die Geschwindigkeit, mit der er die Waffe gezogen hatte. Alle seine Bewegungen deuteten darauf hin, dass er für Fehleinschätzungen anfällig war. Ich hatte Geschichten von Polizisten gehört, die wie er in Panik geraten waren, von den Unfällen, die durch unkontrollierte Angst verursacht wurden. Auch mich hatte die Furcht gepackt, aber nicht vor Halttunen. Ich hatte Angst vor Palo und um ihn.
»Das waren nur Elche«, sagte ich noch einmal, da er immer noch mit der Waffe herumfuchtelte. »Steck das Ding weg, dann gehen wir weiter. Der Fundort ist ganz in der Nähe, bald haben wir es geschafft.«
Die Dunkelheit verbarg Palos Gesicht, doch dass er beschämt und verlegen war, verriet auch seine Körperhaltung. Er verstaute den Revolver und trottete den jetzt steil ansteigenden Pfad hinauf.
Der Fundort war unverändert. Eine kleine Lichtung auf dem Hügel, über den die Loipe führte, am Rand eine mächtige Fichte mit tief herabhängenden Zweigen, von der Art, unter der Kinder Höhlenforscher spielen.
Die ganze Geschichte machte immer noch keinen Sinn.
»Aber die Rosberg war doch Ärztin«, schnaubte Palo, als ich wieder spekulierte, Elinas Tod könne ein Unfall gewesen sein.
»Mediziner müssten doch über das Zusammenwirken von Medikamenten Bescheid wissen. Dass man Dormicum und Erythromycin nicht gleichzeitig einnehmen darf, weiß sogar ich.«
»Elina war keine Ärztin, sondern Psychologin. Sie hatte zwar Psychiatrie studiert, war aber nicht approbiert und auch nicht befugt, Arzneimittel zu verordnen.«
Der Pathologe hatte darauf hingewiesen, dass das Risiko einer Interaktion von Erythromycin mit Dormicum und Halcion seit etwa anderthalb Jahren bekannt war. Auf der Packungsbeilage des Antibiotikums wurde vor der gleichzeitigen Einnahme gewarnt. Vielleicht hatte Elina vergessen, den Waschzettel zu lesen.
Ich versuchte mich an den Geschmack von Dormicum zu erinnern. Schmeckte es überhaupt nach etwas? Ausprobieren konnte ich es vorläufig nicht, außer Paracetamol waren während der Schwangerschaft alle Medikamente verboten. Ob es möglich gewesen war, eine größere Menge des Beruhigungsmittels in Elinas Whisky aufzulösen?
»Okay, Theorie Nummer zwei: Jemand wollte, dass Elina fest schlief, und gab ihr mit Dormicum versetzten Whisky, ohne zu wissen, dass sie ein Antibiotikum genommen hatte. Elina erlitt eine Bewusstseinstrübung und lief in ihrer Verwirrung in die Nacht hinaus. Die Person, die ihr den Whisky gab, aber eben nicht die Absicht hatte, Elina zu töten, schweigt aus Angst vor einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung.«
»So könnte es gewesen sein.« Palo hörte mir zwar zu, schien jedoch gleichzeitig in den Wald zu horchen, seine Augen lauerten auf eine Bewegung der Zweige, auf einen plötzlich hervorspringenden Schatten. Ich dachte weiter laut, bemühte mich, die Kälte zu ignorieren, die unter den Mantel und durch das dünne Gummi der Stiefel drang.
»In diesem Fall habe ich zwei Kandidatinnen: Milla Marttila und Aira Rosberg. Milla wollte vielleicht verhindern, dass Elina etwas von ihrem nächtlichen Ausflug erfährt. Und Aira hatte selbst ein Schlafmittel genommen, um nicht von Elinas Husten wach gehalten zu werden. Vielleicht hat sie sich einen Schlaf-trunk gemixt und auch Elina davon angeboten.«
»Aber die Marttila hat das Haus doch schon am frühen Abend verlassen.«
»Stimmt. Na, vielleicht hat Elina das Medikament schon so früh eingenommen. Oder nein, wohl doch nicht, Dormicum wirkt ziemlich schnell. Ach was, das bringt alles nichts. Sehen wir zu, dass wir hier rauskommen.«
Wir gingen auf dem gleichen Weg nach Rosberga zurück. Bei Elina war keine Taschenlampe gefunden worden. Der Mond, der jetzt unter einer Wolke hervorlugte, war fast voll, also hatte in Elinas letzter Nacht nur ein Halbmond am Himmel gestanden, eine unzureichende Lichtquelle. Allerdings konnte die Person, nach
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