Lehtolainen, Leena
Augenzeugen für den Mord in Mankkaa gefunden worden waren. Aufgrund ihrer Aussagen war mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Pentti Lindström von einem etwa dreißigjährigen, untersetzten blonden Mann getötet worden war, den die Zeugen auf Fotos als Halttunen identifiziert hatten.
»Scheiße, du, der hat seinen eigenen Vater umgelegt«, ächzte Palo entsetzt.
»Gibt es Hinweise darauf, wo Halttunen sich jetzt befindet?«, brüllte ich ins Mikrophon.
»Nee. Der Kerl hat doch Beziehungen, der kann bestimmt für längere Zeit verschwinden und im entscheidenden Moment wieder auftauchen«, sagte Pertsa, und ich hätte schwören können, dass er uns das nicht aus Gedankenlosigkeit erzählte.
Das brachte mich auf hundert, mindestens. Jeder andere Kollege hätte versucht, uns zu beruhigen, hätte gesagt, dass Halttunens Kontakte bereits überprüft werden und dass der Kerl spätestens in zwei Tagen gefasst wird.
Aber nicht Pertsa, der genau wusste, wie falsch wir mit unserer Vermutung gelegen hatten, Halttunen wäre vor allem hinter dem Mörder seines Vaters her. Dieser Mörder war er jedoch selbst, und wenn ich auch nicht wusste, ob er noch andere Feinde hatte, war mir völlig klar, wer jetzt ganz oben auf seiner Todesliste stand.
Palo und ich.
Jetzt bekam auch ich es mit der Angst zu tun.
Acht
Auf dem Heimweg beschloss ich, Antti von Halttunen zu erzählen. Er würde sich ohnehin wundern, wieso ich gegen meine Gewohnheit bewaffnet war.
Antti sah mich entgeistert an.
»Wie gefährlich ist der Mann?«, fragte er dann, nachdem er eine Weile schweigend aus dem Fenster gestarrt hatte.
»Gefährlich genug. Andererseits ist er ein entflohener Sträfling, der jetzt obendrein mit einer Mordanklage rechnen muss.
Eigentlich sollte er sich lieber unsichtbar machen, als Palo und mir nachzustellen.«
»Könnt ihr keinen Personenschutz bekommen?«
»Keine Ressourcen. Außerdem handelt es sich um eine Drohung, die er nur ein einziges Mal ausgesprochen hat, vor sechs Monaten. Womöglich hat er die ganze Sache längst vergessen«, versuchte ich nicht nur ihn, sondern auch mich selbst zu beruhigen.
»Hoffentlich. Ich mach mir Sorgen um dich, oder eigentlich muss ich ja jetzt sagen, um euch.« Er versuchte zu lächeln.
»Wann erzählen wir übrigens den Verwandten und Freunden davon?«
»Noch lange nicht. Die ersten Monate sind die gefährlichsten, die meisten Fehlgeburten passieren vor der zwölften Woche.
Lass uns bis dahin warten.«
»Ich hab in der Bibliothek ausgemusterte alte Elternzeitschriften gekauft. Da steht bestimmt drin, wie man mit Babys umgeht.«
»Antti!« Ich starrte konsterniert auf die bunten Illustrierten, auf deren Titelbildern mütterliche Frauen und niedliche Babys in seliger Symbiose lächelten. »Muss ich die wirklich lesen?«
Antti sah zufrieden, aber auch ein wenig verlegen aus, fast entschuldigend sagte er:
»Ich bin im Moment so down, weil ich im Job zu viel zu tun hab und weil diese Umgehungsstraße wohl doch gebaut wird, darf ich mich nicht wenigstens ein bisschen freuen?«
»Na klar!« Ich setzte mich auf seinen Schoß, legte mein Gesicht an seine Schulter. Die Wärme seines Körpers war erregend, ich küsste seinen Hals, sein Kinn, seine Lippen, Antti riss mir die Bluse vom Leib. Wir liebten uns auf dem Wohn-zimmerteppich, ohne Rücksicht auf Einstein, der auf dem Bücherregal hockte und uns missbilligend anstarrte.
Danach fühlte ich mich frisch und ausgeruht genug, um Johannas Lebensgeschichte zu lesen. Antti unterbrach mich zwar ein paar Mal, um mir die blödsinnigsten Stellen aus den Elternzeitschriften vorzulesen, ließ mich aber nach einer Weile in Ruhe.
Autobiographien hatte ich immer schon gern gelesen. Wahrscheinlich steckte dahinter eine Art Voyeurismus, der Wunsch, in das Leben anderer Menschen einzudringen. Besonders interessant fand ich die von ganz normalen Menschen, von denen glücklicherweise in den letzten Jahren eine reiche Auswahl erschienen war. Ich bemühte mich, Johannas Bericht zu lesen wie ein Buch über eine beliebige 33-jährige Frau aus Ostbottnien, doch das wollte mir nicht recht gelingen. Die sauber gedruckten, unaufgeregten Sätze erzählten mir viel zu viel.
Ich wurde vor dreiunddreißig Jahren in Karhumaa geboren, einem Dorf in der Gesamtgemeinde Yli-Ii nördlich von Oulu.
In unserem Dorf gab es damals eine Volksschule, eine Kirche, zwei Geschäfte, zwei Bankfilialen, ein Ärztezentrum und das Haus des Bauernvereins, das auch als
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