Lehtolainen, Leena
eingezogen und kümmert sich um die Kinder. Vielleicht wird Leevi dann sie heiraten.« Jetzt bestand kein Zweifel mehr, in ihrer Stimme lagen Wut und Sarkasmus.
Johanna Säntti war nicht feige. Wieso hatte ich sie für schwach gehalten? Bestimmt hatte es sie eine Stange Mut gekostet, gegen alle Glaubenssätze zu verstoßen und ihr Kind abzutreiben.
»Ich habe heute mit der Juristin gesprochen, die du mir empfohlen hast, Maria. Sie hat mich überzeugt: Leevi kann mich nicht daran hindern, meine Kinder zu besuchen. Natürlich kann es sein, dass einige von ihnen mich nicht sehen wollen, aber Anna werde ich auf jeden Fall treffen und die allerkleinsten auch.« Bei allem Trotz zitterte ihre Stimme leicht, und ich verstand ihre Furcht. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie alle Dorfbewohner sich bemühten, die Kinder gegen ihre Mutter aufzuhetzen.
»Erzähl mir von deinem Leben, Johanna. Ich bin neugierig, nicht als Polizistin, sondern als Frau, ich kenne außer dir keine Mutter von neun Kindern.«
Palo seufzte. Offenbar war seine Bereitschaft, Überstunden zu machen, exakt in dieser Minute erschöpft. Johanna kümmerte sich nicht darum. Sie sagte:
»Was gibt es da schon zu erzählen. Beten und Kinderkriegen, das war mein Leben. Ich kann nicht gut darüber reden. Elina hat mir geraten, meine Lebensgeschichte aufzuschreiben, sie meinte, das würde mir helfen, mein Leben besser zu verstehen.
Und ich habe dann auch etwas geschrieben.«
»Darf ich es lesen?«
»Warum denn?« Johanna sah mich offen an, eine Locke fiel ihr ins Gesicht, sie strich sie ungeschickt zurück, wie ein Mensch, der die Haare nie offen getragen hat. »Wenn ich dir gebe, was ich geschrieben habe, erzählst du mir dafür von deinem Leben? Für mich ist es unerhört, dass eine Frau Polizistin ist.«
Es kam mir vor, als ob sie mich auslachte, aber in ihren Augen lag fast kindliche Arglosigkeit.
»Abgemacht«, antwortete ich, und Johanna ging ihren Le-bensbericht holen. »Es geht ihr viel besser«, sagte ich zu Aira.
»Vielleicht. Aber das liegt nur daran, dass sie sich einredet, ihr Mann hätte Elina umgebracht. Wenn es so wäre, würden die Kinder mit Sicherheit ihr zugesprochen«, entgegnete Aira trocken.
Johanna kam mit einem Stapel säuberlich bedruckter Blätter zurück.
»Milla hat mir gezeigt, wie man mit dem Computer umgeht«, sagte sie voller Eifer. »Du kannst den Text behalten, ich kann ihn mir jederzeit ausdrucken.«
Ich staunte über den triumphierenden Tonfall. Vielleicht hatte Aira Recht und Johannas neue Selbstsicherheit beruhte tatsächlich auf Selbstbetrug. Ich dachte an Leevi Säntti, den ich hasste, ohne ihn je gesehen zu haben. Er wäre ein Täter nach meinem Geschmack.
Wir verabschiedeten uns. Ich wünschte Johanna eine gute Reise und überlegte gleichzeitig, ob sie Elina ermordet haben konnte, in der Absicht, den Verdacht auf ihren Mann zu lenken.
Das klang weit hergeholt, aber bei diesem Fall schien ohnehin alles möglich zu sein. Die froststarre Schneefrau im Wald ließ mich an ein mythisches Ritual denken, an ein Opferfest.
Vielleicht war Elina das Opfer gewesen, das Johanna darbringen musste, um ihre Kinder für sich zu gewinnen. Vielleicht hatte ich aber auch nur zu viele drittklassige Psychothriller gelesen.
Sobald wir zum Tor hinausfuhren, begann Palo wieder, sich hysterisch umzublicken.
»Du bist ja wirklich nervös«, sagte ich schließlich. »Du solltest dir Urlaub nehmen und eine Weile verreisen, irgendwohin, wo du keine Angst vor Halttunen zu haben brauchst.«
»Wie soll ich denn um diese Zeit Urlaub kriegen?«
»Geh zum Arzt … Oder besser zum Psychiater. Eine Mord-drohung ist doch ein eindeutiger Stressauslöser.«
Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass ihm die Idee nicht gefiel. Das verstand ich durchaus. Die meisten Polizisten waren typische finnische Durchschnittsmänner, die sich an Emotionen nur Hass, Wut, Neid und sexuelle Begierde gestatteten. Freude war lediglich in zwei Fällen denkbar, nämlich wenn sie einen Sohn bekamen und wenn Finnland Weltmeister im Eishockey wurde. Angst war nicht vorgesehen.
»Im Urlaub macht man sich nur unnütze Gedanken«, meinte Palo. »Bei der Arbeit ist man sicherer, weil man immer einen Profi dabeihat. Aber wir zwei sollten nicht mehr zusammen auftreten, schließlich ist er hinter uns beiden her.«
»Vielleicht hast du Recht«, sagte ich, als wir per Funk aufgerufen wurden, uns zu melden. Am anderen Ende war Pertsa, der uns mitteilte, dass zwei
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