Lehtolainen, Leena
wären die Stufen nur Frauenfüße gewöhnt. Palo zuckte die Schultern, wie um zu sagen, er habe oben nichts gefunden.
»Verdammt dunkel ist es jedenfalls. Wenn jemand ohne Licht durch den Wald schleicht, kann man ihn von da oben nicht sehen«, sagte er.
»Gehen wir trotzdem«, seufzte ich. Aira griff nach ihrem Mantel, als wollte sie mitkommen, doch ich hinderte sie daran.
Sie zählte immer noch zu den Verdächtigen, und ich war ganz sicher, dass sie uns etwas verheimlichte.
Gleich hinter dem Tor fiel uns der eisige Wind an, er stieg vom See auf und hatte oben auf dem Hügel bereits so viel Kraft gesammelt, dass er uns beinahe umwarf. Ich steckte die Enden des Schals in den Mantel, um die Brüste vor der Kälte zu schützen, und band die Stiefelschäfte fester zu. Es verlockte mich nicht im Geringsten, durch die Schattenmuster der Bäume auf dem Schnee zu stapfen. In der Nacht des zweiten Weihnachtstages hatte noch mehr Schnee gelegen als jetzt, und Elina hatte vermutlich nicht einmal Schuhe angehabt. Der kürzeste Weg zum Fundort führte quer über ein Feld. Man konnte auch ein Stück den Weg entlanggehen und dann der Loipe folgen.
Aus lauter Faulheit hätte ich am liebsten diesen Weg gewählt, doch hatte ich das unbestimmte Gefühl, es wäre sinnvoller, über das Feld zu gehen.
Also stapften wir hügelan und sahen nach einer Weile die Lichter des Nachbarhauses, von dem aus der Skiläufer die Polizei angerufen hatte. Bis auf vereinzelte Lichter unten am See wirkte der Landstrich öde und verlassen. Palo ging mit grimmigem Gesicht neben mir und sah sich immer wieder um.
Wenn Halttunen auf uns zugekommen wäre, hätten wir ihn allerdings schon von weitem gehört, denn der Schnee knirschte bei jedem Schritt.
»Ich weiß nicht … Vielleicht hat Elina Rosberg ja doch, ohne sich etwas dabei zu denken, außer ihrem Erythromycin Alkohol und Dormicum zu sich genommen, ist bei getrübtem Bewusstsein aus dem Haus gegangen, hat sich in den Schnee gesetzt und ist ohnmächtig geworden«, sagte ich mehr zu mir als zu Palo.
»Womöglich ist es so einfach.«
»Und woher kommen die Abschürfungen am Rücken?«, wandte Palo ein und leuchtete die Bäume am Waldrand an. Das Feld war von einer dichten Fichtenhecke begrenzt, die alles andere als einladend aussah. Ich versuchte eine Lücke zu entdecken, durch die Elina sich hätte zwängen können, abgebro-chene Zweige oder etwas Ähnliches. Doch der Waldrand wirkte verschlossen, als wäre seit einer Ewigkeit niemand hindurchge-gangen.
»Lass uns zurückgehen und die andere Route inspizieren«, schlug ich vor. »Könnte es nicht sein, dass jemand Elina gefunden und zuerst versucht hat, sie in eins der Häuser zu bringen? Dann hat er gemerkt, dass sie tot ist, und es mit der Angst zu tun bekommen. Irgendein Unbekannter.«
Auf dem Rückweg über das Feld konnten wir in unseren eigenen Spuren gehen, und auf dem Weg kamen wir noch leichter voran. Unmittelbar neben der Loipe verlief ein kleiner Trampelpfad im Schnee, dem wir nun folgten.
Im Wald waren wir nicht länger dem Wind ausgesetzt, er fing sich in den Wipfeln der Fichten. Im Licht unserer Taschenlampen wirkten die Bäume grotesk verzerrt, Zweige blieben in meinen Haaren hängen. Ich stolperte über eine kleine Fichte und konnte gerade noch eine Bruchlandung verhindern, indem ich mich an einer hüfthohen jungen Birke festhielt. Dabei fiel mein Blick auf einen Fetzen rosa Satin, der an der Birke haften geblieben war.
»Leuchte mal hierher, Palo!« Der Fetzen war nicht sehr groß, vielleicht drei mal sechs Zentimeter. Vorsichtig brach ich den ganzen Zweig ab, kramte in meiner Tasche nach einem Plastik-beutel und steckte das Beweisstück hinein. Es stammte von Elinas Morgenmantel, das hielt ich für so gut wie sicher, zumal Skianzüge wohl nicht aus rosa Satin hergestellt werden. Die endgültige Bestätigung musste natürlich das kriminaltechnische Labor liefern. Wir gingen noch langsamer als zuvor weiter und spähten in alle Richtungen. Plötzlich erstarrte Palo, und der Strahl seiner Taschenlampe begann zu zittern.
»Was ist das?«
Zu unserer Linken dröhnte der Wald, Zweige knackten, jemand brach sich mit Gewalt einen Weg durch das Unterholz. In Gedanken sah ich Halttunen in Rambomanier auf uns losgehen, ein Sturmgewehr in der Hand, ein Messer zwischen den Zähnen, mordlustiges Funkeln in den babyhaft hellen Augen. Palo zog seinen Revolver. Ich sah die Panik in seinen Augen und begriff erst jetzt, wie tief seine Angst
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