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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Weiss wie die Unschuld
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berufen, man würde mich vielleicht noch brauchen.
    Pihko und ich hielten uns abseits, aber Pertsa, der behauptete, unbewaffnet zu sein, marschierte zum Versorgungsfahrzeug und holte sich ein Gewehr. Er kam kurz vorbei, um uns zu berichten, dass Jäämaa mit Palo gesprochen hatte. Er war körperlich unversehrt, aber psychisch fast am Ende. Dann schlich sich Pertsa weiter vor, als wollte er dafür sorgen, dass er als Erster losballern konnte, falls man Halttunen in die Feuerlinie bekam.

    »Was haben die vor?«, überlegte Pihko, der von einem Bein auf das andere hüpfte. Atemdampf umhüllte ihn wie eine Wolke und verbarg sekundenlang sein Gesicht.
    »Sieht aus wie eine Doppeltaktik. Einerseits schinden sie Zeit, andererseits zeigen sie Halttunen, wie stark wir sind. Wenn die Mikrophone so gut sind, wie ich vermute, kann man es hören, wenn Halttunen einschläft. Und dann wird zugeschlagen. Das kann allerdings lange dauern, unter Umständen zwei Tage.«
    »Willst du die ganze Zeit hier bleiben?«
    »Ich bin jetzt schon der reinste Eiszapfen, wahrscheinlich ist es besser, nach Hause zu fahren und zu schlafen, falls Jäämaa mich gehen lässt. Ist von dem Brot noch was übrig? Ich hab schon wieder Hunger.«
    Ich mampfte Roggenbrot mit Schmelzkäse, trank Orangensaft dazu und hörte mir Pihkos Vermutungen über den weiteren Verlauf an. Seine Pläne waren weniger blutrünstig als Pertsas, aber auf Rache war auch er aus. Als ich fertig gespachtelt hatte, sah er mich aus den Augenwinkeln an und fragte:
    »Bist du froh, dass Palo da drin sitzt und nicht du?«
    Die Frage war so idiotisch, dass ich lächeln musste.
    »Natürlich! Genauso wie Palo froh wäre, wenn ich an seiner Stelle da unten hocken würde. Hey, was tut sich denn jetzt?«
    Ein auffälliger roter Chevrolet, Baujahr zirka neunzehnhun-dertsechzig, kurvte auf das hell erleuchtete Gelände. Ihm entstieg ein Mann, dessen Gesichtszüge ich nicht erkennen konnte, der aber mit seinem flatternden Mantel und der schulterlangen, dicken blonden Mähne an einen Löwen erinnerte.
    Irgendwo hatte ich ihn schon einmal gesehen. »Wer ist das?«, fragte Pihko.

    »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es ist Kari Hanninen. Ein Astrologe und Therapeut, der auch Halttunen behandelt hat.«
    Irgendwann im Frühjahr hatte ich mit halbem Auge eine Fernsehdebatte verfolgt, in der Vertreter der Grenzwissenschaften mit Skeptikern stritten. Die Diskussion hatte sich hoffnungslos festgefahren, und außerdem hatte Antti seine Verführungskünste spielen lassen, sodass wir bald abschalteten, um uns ungestört lieben zu können. Ich erinnerte mich jedoch noch an Hanninens selbstsichere Behauptung, es sei ihm gelungen, Grenzwissenschaft und Seelenwissenschaft, Astrologie und Psychologie, miteinander zu verbinden.
    Hanninen verschwand in der Kommandozentrale, und wir standen weiter untätig und frierend herum. Mir war klar, dass ich bald gehen musste. Ich konnte hier ohnehin nichts ausrichten, so gern ich geholfen hätte. Außerdem musste ich schon wieder.
    Ich machte gerade Anstalten, im Wald zu verschwinden, als Taskinen kam und mich in die Kommandozentrale holte. Ich sollte bei der Erstellung einer Charakteranalyse helfen.
    Einige hundert Meter von der Hütte war tatsächlich ein Zelt aufgeschlagen worden. Drinnen bullerte ein herrlich warmes Öfchen, ich drängte mich möglichst nahe heran, um ein wenig aufzutauen, bevor ich an den Tisch trat, an dem neben Taskinen und Jäämaa der Mann aus dem Chevrolet sowie zwei weitere, der Kleidung und dem Auftreten nach wichtige Herren saßen.
    An der hinteren Zeltwand drehten sich die Tonbänder, davor saßen zwei Männer mit Kopfhörern. Offenbar konnte man die Hütte also tatsächlich abhören.
    »Hier haben wir jetzt Kriminalhauptmeister Kallio, die andere Beamtin, die an Halttunens Vernehmung in Espoo beteiligt war.
    Leitender Referent Koskivuori vom Innenministerium, Vizedi-rektor Matala vom Zentralgefängnis in Helsinki, Halttunens Therapeut Kari Hanninen. Bitte nehmen Sie Platz, Hauptmeister Kallio«, sagte Jäämaa höflich. Hanninen rückte mir den Stuhl an seiner Seite zurecht und strich mir dabei mit der Hand über den Rücken, offenbar in voller Absicht. Von nahem sah er aus wie ein gealterter Rockstar. Er begann sofort, sein Charisma strahlen zu lassen, offenbar eine völlig automatische Geste, die jede Frau bei ihm auslöste, denn mit meinen vom Schutzhelm platt gedrückten Haaren und meiner roten Triefnase war ich bestimmt kein

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