Lehtolainen, Leena
wissenschaftlich ausgibt. Was sie übrigens auch meiner Meinung nach nicht ist, weil sie teilweise auf Astrologie beruht.«
»Das klingt wirklich seltsam.«
»In gewisser Weise konkurrierten Hanninen und Elina um dieselben Patientinnen, um bewusste, feministisch orientierte Frauen. Einige von ihnen nehmen zum Beispiel Astrologie und Tarot vollkommen ernst. Sie halten es für uraltes weibliches Wissen, das von der männlich dominierten Religion und den so genannten harten Wissenschaften unterdrückt wird.«
»So hat Elina es aber nicht gesehen?«
»Sie hielt es für gefährlich, die Verantwortung für seine Entscheidungen nicht selbst zu übernehmen, sondern den Karten oder den Sternen zuzuschieben.«
»Gab es Auseinandersetzungen zwischen Hanninen und Elina?«
»Und ob. Sie haben übrigens zusammen studiert, angeblich hatten sie damals sogar eine kurze Romanze, die daran scheiter-te, dass Elina in allen Prüfungen besser abschnitt als Kari.«
Ich lachte, denn ich musste an meinen Kommilitonen Kristian denken, mit dem es mir genauso ergangen war: Er hatte es nicht ertragen können, dass ich im Jurastudium erfolgreicher war als er. Inzwischen saß er an seiner Dissertation, während ich als einfache Polizistin mein Leben riskierte.
»Vor ein paar Jahren gab es eine mehr als heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden. Elina hat nämlich verlangt, dass Kari wegen Vermischung von Wissenschaft und Grenzwissenschaft mindestens eine Verwarnung erhält oder sogar aus dem Therapeutenverband ausgeschlossen wird. Man hat sich schließlich mit einer Verwarnung begnügt, aber seitdem ist Karis Verhältnis zum Therapeutenverband, gelinde gesagt, recht kühl.«
»Und doch hat Elina eine Patientin von Kari übernommen. Ich muss Niina Kuusinen fragen, ob sie von diesem Konflikt wusste.
Aber genug von Kari Hanninen, sprechen wir lieber über Elina.
Du sagtest neulich, sie sei deine Therapeutin gewesen.«
»Ja, bei der Ausbildung zum Therapeuten unterzieht man sich ja selbst einer Therapie. Ich habe meine Ausbildung Anfang der achtziger Jahre gemacht, als man sich gerade erst dazu durchgerungen hatte, Homosexualität nicht mehr als krankhaft einzustufen. Einen Therapeuten zu finden, der die Vorstellung, eine Lesbe könnte diesen Beruf ausüben, nicht widerwärtig fand, war gar nicht so leicht. Elina war ein doppelter Glücksfall, weil ich auch beruflich viel von ihr lernen konnte.«
Der Wind wehte grobkörnigen Schnee von den Fichtenzweigen und fegte ihn uns ins Gesicht, er strich mir über die Haut wie eine Bürste. Aus einem Fichtenwipfel flatterte eine Elster auf, flog jedoch nicht weit, sondern landete in zwanzig Meter Entfernung auf einer Birke, schaukelte in den Ästen und krächzte uns etwas zu, was wie eine Schmähung klang. Einmal hatte ich Einstein beobachtet, als er sich mit einer Elster zankte.
Er hatte miaut, sie gekrächzt, und ich war ganz sicher gewesen, dass sie sich verstanden. Ein Spaziergänger, der aussah wie ein pensionierter Schiffskapitän, versuchte vergeblich, seinen wolligen, schneefarbenen Samojedenspitz weiterzuzerren, der interessiert an einer Baumwurzel schnüffelte und sich nicht vom Fleck rührte. Ich bin zwar ein so genannter Katzenmensch, aber große, zottelige Hunde finde ich einfach unwiderstehlich, deshalb konnte ich es nicht lassen, den Samojeden im Vorbeige-hen zu streicheln. Er nahm Einsteins Geruch an meinen Schuhen auf und beschnupperte erst mich, dann Eva, deren Mantel nach ihren Golden Retrievern roch.
»Elina war wirklich eine gute Therapeutin«, fuhr Eva fort, als wir auf den Weg in den Zentralpark von Espoo einbogen. »Sie war absolut präsent und hörte einem zu. Als die Therapie beendet war und wir Kolleginnen wurden, haben wir uns besser kennen gelernt. Richtige Freundinnen sind wir nicht geworden, dafür war Elina zu verschlossen und zurückhaltend. Über sich selbst, ihre Gefühle oder ihr Leben, hat sie kaum gesprochen.
Ein paar Mal hat sie Joona Kirstilä erwähnt und mir zu verstehen gegeben, dass er ihr etwas bedeutete. Mehr aber auch nicht.«
»Kannst du dir vorstellen, dass Elina Selbstmord begangen hat?«
Eva schüttelte langsam den Kopf und verzog nachdenklich den Mund. »Was war denn die Todesursache?«
»Interaktion von Medikamenten und Alkohol, dadurch ausgelöste Bewusstlosigkeit, die ihrerseits zu Hypothermie und schließlich zum Tod führte. Schwer zu sagen, ob es eine vorsätzliche Handlung war.« Ich überlegte, ob ich den Brief erwähnen
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