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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Weiss wie die Unschuld
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sollte, den Aira mir gezeigt hatte, schwieg jedoch, weil ich von seiner Echtheit nicht restlos überzeugt war.
    »Eine ziemlich unsichere Art, sich das Leben zu nehmen. Das wirkt eher wie ein Hilferuf, als würde man damit rechnen, gefunden zu werden. Klingt gar nicht nach Elina. Außerdem war sie kein Selbstmördertyp, obwohl sie etwas an sich hatte … als steckten hinter ihrer glatten Fassade Geheimräume, in denen sie ihre Trauer unter Verschluss hielt. Manchmal öffnete sie die Türen einen Spaltbreit, aber nur für einen Augenblick.«
    »Was sah man denn hinter diesen Türen?«
    »Zumindest eine Spannung zwischen dem Bedürfnis nach Einsamkeit und dem Wunsch, sich zu binden. Außer Aira hatte Elina ja keine näheren Angehörigen. Es kam mir manchmal so vor, als ob sie gern ein Kind gehabt hätte, zugleich aber vor dem Gedanken zurückschreckte. Das Verhältnis zu Joona Kirstilä ist bezeichnend für ihre Beziehung zu anderen Menschen: Die beiden standen sich nahe, aber zu viel Nähe wollten sie auch wieder nicht.«

    Das kam mir bekannt vor. So war ich früher auch gewesen, eigentlich war ich es immer noch. Ich hatte Antti nicht zuletzt deshalb geheiratet, weil er mein Bedürfnis nach Einsamkeit verstand und teilte. Ein Kind würde dieses Muster verändern, es würde meine Nähe brauchen. Zum ersten Mal sah ich den Mutterschaftsurlaub auch als Pause von der Arbeit, als eine Zeit ohne Mörder und ohne verzweifelte Versuche, anderen Menschen wenigstens Halbwahrheiten zu entreißen.
    »Wir erwarten übrigens ein Baby«, hörte ich mich plötzlich sagen, obwohl ich Antti noch vor ein paar Tagen beschworen hatte, vorläufig keinem davon zu erzählen.
    »Herzlichen Glückwunsch! Ehrlich gesagt, wir hatten uns schon gewundert, als ihr mit dem Auto zur Silvesterfeier gekommen seid. In welcher Woche bist du denn?«
    »Die wie vielte ist es denn jetzt … die achte, glaub ich, Ende August soll es jedenfalls kommen. Es war eigentlich noch gar nicht geplant, aber meine Spirale hat versagt. So ganz geheuer ist mir die Situation immer noch nicht.«
    »Der Tod deines Kollegen und die unerwartete Schwangerschaft, da steckst du ja voll im Stress«, meinte Eva trocken und sah mich verstohlen von der Seite an, als fürchte sie, mich mit ihrer flapsigen Bemerkung vor den Kopf zu stoßen.
    »Du sagst es. Und trotzdem begreift man irgendwann, dass genau das die brutale Wahrheit ist: Geburt und Tod gehen Hand in Hand. Ach was, ich will jetzt nicht pathetisch werden. Komm, kehren wir um.«
    Ich begleitete Eva nach Mankkaa. Kirsti war entsetzt, als sie hörte, dass ihre hochschwangere Frau fast zehn Kilometer weit gelaufen war. Ich hatte noch zwei Kilometer vor mir und hoffte, dass Antti das Essen fertig hatte, wenn ich nach Hause kam.
    Statt an der Hauptstraße entlangzugehen, nahm ich lieber die kleinen, gewundenen Nebenstraßen. Plötzlich blieb ich stehen.
    Ich kannte den Mann, der da vor einem Reihenhaus auf dem Mäuerchen hockte und wie unter Zwang ausgefallene Haare vom Mantelkragen zupfte. Es war Pertsa Ström. Und doch sah er gar nicht wie Pertsa aus. Er saß mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf da, dabei strahlte er eine Unterwürfigkeit aus, die ich an meinem selbstsicheren, prahlerischen Kollegen nicht kannte. Ich blieb stehen und beobachtete ihn. Sollte ich ihn ansprechen? Was machte er eigentlich hier, weshalb saß er hier in Mankkaa wartend vor einem Reihenhaus? Er wohnte doch in Olari.
    Pertsa sah auf die Uhr, er wirkte nervös. Dann ging die Haustür auf. Ein etwa siebenjähriger Junge steckte den Kopf heraus.
    »Wir kommen gleich, Papa. Jenna kann ihren Badeanzug nicht finden.«
    Pertsas Schultern strafften sich, und seine Stimme klang so barsch wie gewohnt, als er an dem Jungen vorbei ins Haus rief:
    »Lass die blöden Tricks, Marja, gib Jenna den Badeanzug!«
    Jenna, Marja – und ein etwa siebenjähriger Junge. Der Groschen fiel: Pertsa wartete auf seine Kinder. Wie hieß der Junge noch gleich – Jani? Ich hatte die Kinderfotos in Pertsas Briefta-sche gesehen, als er mir nach einer wichtigen Verhaftung einen Kaffee spendierte. Wahrscheinlich hing Pertsa an seinen Kindern, obwohl ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, dass er zu derartigen Gefühlen fähig war. Allerdings hatte ich gespürt, wie er zitterte, als wir gemeinsam über Palos Tod weinten. Mit seiner Exfrau stand er jedenfalls auf noch schlech-terem Fuß als mit mir. Durch die halb offene Tür brüllten sich die beiden an, als es darum ging,

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