Lehtolainen, Leena
mitrechnete – und ein frommer Mann. Von den Smithia-nern, zu denen er sich bekannte, hatte ich nie gehört, aber Veikko behauptete, in seiner Nachbarschaft lebten auch Angehörige dieser Sekte.
Ich hatte in Schweden Halbgeschwister, von deren Existenz ich bisher nichts gewusst hatte: Örjan, Yngve und Yvonne. Eero Tiainen hatte mich in seinem Brief beschworen, ihn und seine Familie zu besuchen, doch ich wollte keine Versprechungen machen. Was Kaitsu betraf, bemühte ich mich, nicht allzu viel zu grübeln. Die Ärzte schlossen die Möglichkeit einer Genesung nicht aus, denn Kaitsu war noch jung, erst sechsundzwanzig.
Dass sein linkes Bein sich ein wenig bewegte, war ein Hoff-nungsschimmer, aber je länger der gegenwärtige Zustand anhielt, desto geringer wurden die Chancen. Er wurde intensiv therapiert und hasste es.
Ich versuchte, mich an den Gedanken zu klammern, dass er Glück gehabt hatte, weil er überlebt hatte. Die toten Jungen waren erst sechzehn gewesen. Sie hatten in Kivenlahti den Wagen eines Nachbarn gestohlen und waren in Richtung Kirkkonummi gefahren. Schon an der Kreuzung in Tolsa wären sie beinahe gegen einen Lkw geprallt. Als der Unfall passierte, waren sie offenbar auf dem Heimweg gewesen.
In der Unglücksnacht hatte ich geschworen, mich nie wieder zu betrinken, wenn Kaitsu wieder gesund wurde, obwohl ich gar nicht wusste, vor wem ich dieses Gelübde ablegte. Bisher sah es nicht so aus, als ob ich beim Wort genommen würde. In Kodes und Pekkas Gesellschaft hatte ich allerdings nicht das Bedürfnis, mehr als zwei Bier zu trinken. In Kodes Anwesenheit geriet ich auch längst nicht mehr in Panik, ich hatte gelernt, fast normal mit ihm umzugehen.
Wir spielten noch ein paar Runden, dann gingen wir. Pekka verabschiedete sich vor seinem Hauseingang und umarmte mich kurz. Kode und ich hatten noch ein Stück gemeinsamen Wegs bis zur Bushaltestelle, wo auch er mich mit einer brüderlichen Umarmung bedachte. Vergeblich versuchte ich mich an der Geste zu berauschen. Kode wollte nichts von mir. Allenfalls interessierte er sich für meine Songs, und selbst das war mehr, als ich je erwartet hatte.
Viivi setzte mich schon seit geraumer Zeit unter Druck. Sie meinte, ich solle meinen Dreißigsten groß feiern. Mein Geburtstag fiel auf einen Sonntag, der Tag davor war genau richtig für eine Party. Bisher hatte ich Kaitsus Zustand als Vorwand benutzt, um die Entscheidung hinauszuzögern. Wen sollte ich überhaupt einladen? Mit meinen Kommilitonen hatte ich kaum Kontakt, die Dozenten konnte ich nicht als meine Freunde bezeichnen, die meisten Mitschüler an der Musikschule waren wesentlich jünger als ich, und von meinen alten Freunden war nur noch Elisa übrig. Kaitsu würde sicher nicht kommen, obwohl er im Prinzip ein Invataxi nehmen konnte. Auf Mutters Wunsch hatte ich ihn fast täglich besucht, bis er mich mit den Worten hinauskomplimentiert hatte, ich solle mir die Mühe sparen. Es hatte einen Riesenskandal gegeben, als Veikko im Reha-Zentrum aufgetaucht war und ihn betrunken gemacht hatte. Mutter hatte eine Strafpredigt gehalten, und Sara hatte lamentiert, während ich insgeheim meine Freude an dem Streich gehabt hatte. Veikko hatte sich übrigens einen jungen Hund zugelegt. Ich hätte ihn gern einmal gesehen, bevor er ausge-wachsen war, aber ein Besuch bei meinem Onkel war keine ganz unkomplizierte Angelegenheit.
Das Gefängnis war hell erleuchtet, ein Wärter überquerte den schneebedeckten Hof. Der Jahrestag von Ranes Selbstmord rückte näher. Wegen Kaitsu und Eero Tiainen hatte ich kaum Zeit gehabt, an Rane zu denken, und nun hatte ich das Gefühl, dass seine Augen mich vorwurfsvoll ansahen. Sein Foto hatte ich immerhin wieder an die Wand gehängt. Ich holte die Schachtel mit seinen Briefen hervor, die ich seit langem nicht mehr gelesen hatte. Vielleicht lag die Lösung des Rätsels tatsächlich in den Ereignissen während der Armeezeit? Der Brief, in dem Rane so liebevoll von mir sprach, rührte mich auch diesmal wieder. Ganz verdorben konnte er nicht gewesen sein, egal was die anderen sagten. Oder hatte ein schlechter Mensch nur für seinesgleichen Sympathie?
Ich sortierte die Briefe nach dem Datum. Die Handschrift war mitunter schwer zu entziffern. Stellenweise entdeckte ich eine regelrechte Freude am Lesen, vor allem dann, wenn Rane über die Berufssoldaten herzog.
»Machtgeile Wichser, einer wie der andere! Wenn einmal eine menschliche Regung auftaucht, wird sie sofort unterdrückt. Zum
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