Lehtolainen, Leena
furchtbar beleidigt, als ich merkte, dass er lachte.
In der Pause holte er einen Whisky für sich und einen Sherry für mich. Ich fühlte mich erwachsen und kultiviert, auch wenn mir das Getränk nicht schmeckte: es war klebrig und süß.
Veikko war dreißig, zu jung, um mein Vater zu sein, zu alt für Bruder oder Freund. Vielleicht hielt man uns dennoch für ein Paar.
Am Ende verdrehte mir die Musik den Kopf, sie dröhnte laut und in allen Tönen der Skala, die wilden Geigen, die tiefe Bassstimme, die hellen, schneidenden Soprane im Chor, der ewige Aufbruch eines Menschen nach Paris und die resignierte Feststellung des Baritons: »Nicht ich selbst habe mich gemacht, mich machte die Zeit …« Ich weinte wieder, obwohl mir gleichzeitig zum Lachen war und ich mich glücklich fühlte. Ich wollte auch singen. Veikko holte ein Papiertaschentuch hervor und sagte barsch:
»Dein Make-up ist verschmiert.«
Obwohl es mir egal war, ob die bildungsbeflissenen braven Bürger mich mit zerlaufener Wimperntusche zu Gesicht bekamen, versuchte ich den Schaden zu reparieren. Die Menschenmenge drängte sich durch die Burggänge. Da sah ich ihn.
Zuerst fiel mir die Lederjacke auf, die zwischen den sauberen Anzügen und geblümten Kleidern wie ein Signal wirkte, dann erkannte ich die dunklen Locken und den Ring am linken Ohr.
Kode Salama, der Solist und Songwriter der Band Salamasota, mein größtes Idol.
Ich war zu schüchtern, ihn um ein Autogramm zu bitten, ich starrte ihn nur verdattert an und fing wieder an zu weinen. Die drängelnde Menschenmenge schob Kode und ein elegant gekleidetes Paar in seiner Begleitung, offenbar seine Eltern, unaufhaltsam von mir fort, doch das Bild brannte sich in mein Gedächtnis: der lächelnde Kode Salama vor den düsteren Mauern der Burg Olavinlinna. Die Opernmelodien und die Songs von Salamasota vermischten sich in meinem Kopf, bis ich schließlich total hysterisch war. Veikko brachte mich ins Hotel, nahm eine Flasche Gin Tonic aus der Minibar und drückte sie mir in die Hand:
»Hier, trink das, damit du dich beruhigst!« Er selbst leerte eine Miniflasche Whisky in einem Zug und ging dann zum Bier über.
Ich trank und stellte verwundert fest, dass ich tatsächlich allmählich ruhiger wurde. So fing es an. So wurde ich süchtig nach Alkohol und Musik.
Nach der Rückkehr von den Festspielen versuchte ich herauszufinden, wie man Sängerin wird. Meine Anrufe bei sämtlichen Konservatorien ergaben, dass ich zu jung war, um Gesang zu studieren. Ich solle mich wieder melden, wenn ich volljährig war. Mit fünfzehn sei ich zu alt, um ein Instrument zu lernen, abgesehen vielleicht von Blasinstrumenten. In den Schulchor wagte ich mich nicht. Also sang ich allein und nur dann, wenn mich niemand hören konnte. Ich bat Mutter, ein Klavier zu kaufen, obwohl ich wusste, dass sie es nicht tun würde. In unserer Zweizimmerwohnung war kein Platz, und wir hatten auch nicht genug Geld. Ich begann, auf eine Gitarre zu sparen.
In meinen letzten Schuljahren las ich alles Mögliche über jegliche Art von Musik und hörte stundenlang Platten. Dabei stellte ich fest, dass ich Rockmusik so gern mochte wie klassische, mein Musikgeschmack war ohne jede Logik. In den Sommerferien hütete ich sechs Wochen lang die schulpflichti-gen Kinder von Mutters Kollegin und verdiente mir damit das Geld für eine Gitarre. Ich brachte mir selbst das Spielen bei, deshalb ist meine Technik immer noch mangelhaft. Der Gitarrenlehrer an der Musikschule verlor schon in den ersten Stunden die Geduld mit mir, aber irgendein Nebenfach musste ich ja haben.
Die Band Salamasota spielte weiterhin Songs im Stil der Ramones, die mit allem und jedem ihren Spaß trieben. Ich hatte gelernt, ihre Hits auf der Gitarre nachzuspielen; zum Glück reichten bei den meisten die Grundharmonien der Dur-Skala, manchmal ergänzt durch die parallele Mollharmonie. Auf der akustischen Gitarre klangen die Songs natürlich nicht so gut wie auf der elektrischen und mit der ganzen Band im Hintergrund, aber ich war schon stolz darauf, wenigstens eine gewisse Ähnlichkeit zustande zu bringen.
Ich überredete Ulri und Elisa, zum Open-Air im Brunnenpark mitzukommen, obwohl die beiden eigentlich keine Salamasota-Fans waren, die Band kam nämlich bei Jungen besser an als bei Mädchen. Keine von uns wollte sich ganz nach vorn drängeln, wo baumlange Jungs herumhüpften, die in ihren Lederjacken und Basketballschuhen wie Kopien von Kode und den anderen in seiner Band
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