Lehtolainen, Leena
Geldbörse befanden sich immerhin noch sechzehn Mark und zehn Penni. Fieberhaft suchte ich die ganze Wohnung ab. Unter dem Sesselkissen fand ich eine Mark und sechs Zehnpennistücke. Ich fuhr mit der Hand in den Staubbeu-tel. Zwei Zehnpennimünzen. Als Nächstes fasste ich in sämtliche Jacken- und Hosentaschen und entdeckte weitere Münzen: fünf Mark, eine Mark, viermal zehn Penni und zweimal fünfzig Penni. Ich machte einen Freudensprung, als ich in der Abendtasche zwei Mark und im Rucksack einen Fünfer fand. Jetzt fehlten nur noch fünf Mark und sechzig Penni.
Mein Sparschwein hatte ich längst geschlachtet. Ich sah im Mülleimer nach, aber dort war nichts, im Bad auch nicht. Hinter den Büchern, die ich mir als Nächstes vornahm, fand ich eine Mark. In der Schachtel mit den Ohrringen lagen zwei Münzen, einmal fünfzig und einmal zehn Penni. Nur noch vier Mark.
Ich ging in die Gemeinschaftswaschküche mit den Münz-waschmaschinen. Vielleicht hatte jemand eine Münze fallen gelassen. Fehlanzeige. Dann schaute ich im Keller nach, ob dort leere Flaschen herumlagen, die ich als umweltbewusster Mensch recyceln konnte. Tatsächlich entdeckte ich zwei Wein- und drei Bierflaschen, das gab zwei Mark fünfzig Pfand. Die fehlenden eins fünfzig musste ich irgendwie auftreiben. Sollte ich die Nachbarin anpumpen? Ich könnte sagen, meine Monatskarte wäre abgelaufen und ich hätte keine Zeit, zum Bankautomaten zu gehen. Ich klingelte, doch sie war nicht zu Hause. Bei den anderen Nachbarn zu fragen wäre mir zu peinlich gewesen.
Sicherheitshalber warf ich noch einen Blick in die Mülltonne auf dem Hof. Dort lag eine Sprudelflasche, eine von den großen, die eins fünfzig brachten!
Mit zitternden Händen trug ich meine Schätze in die Wohnung und rechnete nach, ob ich wirklich genug Flaschen und Geld hatte. Es war mir ziemlich unangenehm, mit meinen Leerguttü-
ten in die U-Bahn einzusteigen. Ein Typ fragte, ob ich eine Party gegeben hatte, ein anderer bot sich an, die Flaschen für mich zu entsorgen. Natürlich rückte ich sie nicht heraus. Der Verkäufer machte große Augen, als ich ihm die Münzen hinlegte, und zählte zweimal nach. Er war schon älter und von oben bis unten grau, bis auf die Nase, die mit ihren violetten Äderchen hervorragend zu den rotweinfarbenen Westen der Angestellten im Alko-Geschäft passte.
»Stimmt haargenau«, stellte er schließlich fest.
Kein Drink hat jemals besser geschmeckt als der erste Schluck aus dieser Flasche. Inzwischen habe ich immer einen kleinen Vorrat im Schrank, einige Flaschen Bier, manchmal auch Wein, und eine Flasche Jallu. Ich versuche, mit einer pro Woche auszukommen, aber das gelingt mir nicht immer. Ich führe mich nämlich selbst hinters Licht, indem ich direkt aus der Flasche trinke, statt mir ein Glas einzugießen, denn dann ist es kein ganzer Drink, und ich brauche ihn nicht auf mein wöchentliches Fixum anzurechnen. Aus der Flasche zu trinken ist irgendwie beruhigend und lässig, es ist echtes Trinken, kein weibliches Getue. Anständige Frauen trinken nicht.
Es ist herrlich, Geld zu haben und sich immer eine Reservefla-sche leisten zu können. Mein Einkommen ist zwar weder hoch noch regelmäßig, aber ich komme zurecht, wenn ich es mir einigermaßen einteile. Falls ich etwas von Großmutter erbe, kaufe ich mir das Prachtstück, von dem ich schon lange träume, eine zwölfsaitige Gitarre, rot mit schwarzem Muster. Den Rest hebe ich mir für eine Reise auf. Ich möchte nach London, Barcelona oder in irgendeine andere Stadt, wo mich niemand kennt und wo ich mich verwandeln kann, in wen ich will, zum Beispiel in eine weltberühmte Liedermacherin.
In Wahrheit gerate ich bei jedem Auftritt in Panik. In den Gesangsstunden läuft alles bestens, auch zu Hause, wenn ich zur Gitarre übe, aber sobald mir außer der Gesangslehrerin und dem Begleiter noch jemand zuhört, ist der Ofen aus. Deshalb waren meine wenigen Auftritte die reine Hölle. Natürlich löst ein einzelner Misserfolg keine Bulimie aus, aber mit der Zwischen-prüfung an der Musikschule fing es wohl an, und damit, dass Karri Schluss gemacht hat. Meine Therapeutin meint allerdings, bei mir wäre schon viel früher etwas schiefgelaufen.
In Woody Allens Filmen hat jeder einen Therapeuten, das ist schick, urban und witzig. Niemand hängt je mit dem Kopf über der Kloschüssel, mit tränenden Augen und brennendem Hals. So viel wie ich haben die meisten Menschen wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben nicht
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