Lehtolainen, Leena
übernehmen. Ich hätte es wohl auch tun können, wenn Vater mir den Auftrag gegeben hätte, doch das geschah zum Glück nicht.
Als Präsident Kekkonen, der aus Pielavesi stammte, siebzig wurde, war ich in der Abiturklasse. Der ganze Ort feierte, man rechnete fest damit, dass Kekkonen für seine Verdienste um die KSZE den Friedensnobelpreis erhalten würde. Im Rathausfens-ter hing ein großes Foto des Präsidenten. Esko Muona und ich klauten im Laden schwarze Farbe und einen Pinsel, tranken uns zwei Tage nach den Geburtstagsfeierlichkeiten mit Bier Mut an und malten Kekkonen eine Hippiefrisur. Die Aktion löste einen ziemlichen Skandal aus, selbst die Provinzzeitung fahndete nach den Vandalen. Wir hätten zu gern vor unseren Freunden mit der Tat geprahlt, hatten aber Angst, geschnappt zu werden. Auch meinen Schwestern habe ich die Geschichte erst vor ein paar Jahren erzählt, und natürlich hatte Sara nichts Eiligeres zu tun, als bei Mutter zu petzen. Sie wurde sehr böse, obwohl das Ganze fast fünfundzwanzig Jahre zurücklag. Für Mutter war Kekkonen nach wie vor ein Held.
Da ich mit dem Rad zu Görans Schwester und ihren Welpen fahren wollte, holte ich eine lange Unterhose aus dem Schrank.
Ich war gerade mit einem Bein drin, als das Telefon klingelte.
Halbnackt, die Hose hinter mir herziehend, hüpfte ich zum Apparat. Es war Sara.
»Na, wie geht es meinem einzigen Bruder?«
»Ganz gut.«
»Du hast mir noch nicht gesagt, wie dir meine Sendung gefallen hat.«
»Ich hab sie nicht gesehen«, log ich. Sara schwieg.
»Ich war blau, deshalb hab ich es vergessen«, log ich weiter.
Ich hatte ihr vor Zeiten schon weisgemacht, ich wäre ein starker Trinker.
»Du solltest unbedingt etwas gegen deine Sauferei tun!«
»Hab ich schon. Der Schnaps ist alle.«
»Lass die Witze! Denk dir nur, Sirkka ist wütend auf mich, sie will mich zu Weihnachten nicht einladen. Dabei ist es mein erstes Christfest ohne Mutter, das kann ich auf keinen Fall bei fremden Menschen verbringen. Soll Sirkka mit ihren Kindern feiern, ich komme zu dir.«
Ich verzichtete darauf, sie an all die Weihnachten zu erinnern, an denen sie anderweitig beschäftigt war, in ihrer Lesbenge-meinschaft oder mit einem kurz vor der Scheidung stehenden Geiger in Wien. Damals war ihr Mutters Weihnachten egal gewesen.
»Ich habe vor, bei Sirkka zu feiern, um mir den Weihnachts-putz zu ersparen. Einen Tannenbaum aus Clasus Wald habe ich ihr auch schon versprochen.«
»Ich kann es gar nicht fassen, dass Sirkka sich so aufregt! Ich bringe es einfach nicht mehr fertig, die Wahrheit zu vertuschen und für andere zu lügen. Könntest du ihr das nicht sagen?«
»Nein.«
Ich hätte gern hinzugefügt, sie müsse sich bei Sirkka entschuldigen, aber damit hätte ich bereits Partei ergriffen, was ich grundsätzlich vermied. Mutter hatte es immer wieder getan, aber ich war nicht der Vater meiner Schwestern, sondern ihr Bruder.
Es wäre eine enorme Leistung von Sirkka, wenn sie Sara endlich aus ihrem Leben ausschließen würde. Allerdings glaubte ich nicht, dass sie es schaffte.
Ich sagte Sara, ich müsse gehen, verriet ihr aber nichts von dem Hund. Bevor ich auflegen konnte, fragte sie, ob ich mir das Video ihrer Sendung ausleihen wolle. Ich versprach, es mir zu überlegen.
Es war dunkel geworden, und meine alte Fahrradlampe gab wenig Licht. Zum Glück war der Mond schon halb voll. Ich versuchte, eine Geschwindigkeit zu halten, bei der ich warm blieb, aber nicht ins Schwitzen kam. Der Mittelwert war einigermaßen richtig: Bergauf wurde mir heiß, bergab fror ich.
Das Haus, in dem Görans Schwester wohnte, war von Acker-land umgeben. Auf dem Hof bellte ein Spitz, offenbar das Muttertier. Ich klingelte. Aus dem Haus drangen Kinderstimmen und ein seltsames Piepen. Der kleine Junge, der mir öffnete, hielt ein piependes Spielzeuggewehr in der Hand.
»Hallo, ist deine Mama oder dein Papa zu Hause?«, fragte ich vorsichtshalber auf Schwedisch, weil ich nicht wusste, ob der Junge Finnisch verstand.
Görans Schwester war rundlich und rothaarig wie ihr Bruder und bestand darauf, mir Kaffee zu kochen. Frisches Gebäck hatte sie auch. Die Kinder, es waren vier oder fünf, zogen mich zu den Welpen. Davon gab es drei. Einer war gelbbraun wie die Mutter, einer fast weiß und einer merkwürdig gescheckt. Der weiße war bereits reserviert. Die beiden anderen waren Weib-chen.
Die kleinen Wesen winselten und balgten sich, ihr Bellen war noch unsicher und scheu. Ich nahm das
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