Leibniz war kein Butterkeks
applaudiert, als dieser erklärte, dass – aller agnostischen Vorsicht zum Trotz! – die Existenz des christlichen Gottes in etwa so (un)wahrscheinlich ist wie die Existenz der »Zahnfee«.
Wenige Jahre vor Huxleys Ausformulierung des »Agnostizismus« entwickelte der deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach (1804–1872) einen philosophischen Ansatz, der ebenfalls auf einen Gedanken des Xenophanes zurückgreift, nämlich die Vermutung, dass die »Götter« bloß Projektionsflächen menschlicher Vorstellungen und Wünsche sind. Wie Feuerbach zeigte, haben wir allen Grund dazu, den zentralen Satz der biblischen Schöpfungsgeschichte umzudrehen: Demnach hat nicht »Gott« den Menschen nach seinem »Ebenbilde« erschaffen, sondern umgekehrt: Der Mensch erschuf Gott nach seinem Bilde!
Das dachte auch Karl Marx (1818–1883), der als Gesellschaftskritiker seinen Schwerpunkt auf die gesellschaftliche Funktion des Glaubens legte. Nach Marx ist das religiöse Versprechen des »illusorischen Glücks des Volkes« nur deshalb so erfolgreich gewesen, weil (unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen) ein »wirkliches Glück des Volkes« ausgeschlossen war. In diesem Zusammenhang formulierte Marx die wohl berühmtesten religionskritischen Zeilen der modernen Philosophiegeschichte: »Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.«
Als Karl Marx diese Zeilen schrieb, konnte er nicht ahnen, dass sich seine eigene Lehre im 20. Jahrhundert zu einer fundamentalistischen Politreligion mit weltweitem Missionsbestreben entwickeln würde. Nach der Oktober-Revolution in Russland (1917) wurden seine Werke in den Rang »Heiliger Schriften« erhoben, aus denen kommunistische Parteipriester mit gleicher Inbrunst predigten wie einst die Bischöfe aus der Bibel. An der »Wahrheit« des Marxismus-Leninismus durfte im Herrschaftsgebiet dieses Glaubens ebenso wenig gezweifelt werden wie am Wahrheitsanspruch der mittelalterlichen Kirche. Dafür sorgte nicht zuletzt ein ganzes Heer kommunistischer Inquisitoren, das jeden Kritiker mit erbarmungsloser Härte zur Rechenschaft zog. »Ketzer«, die die »herrschende Meinung« infrage stellten, mussten nicht nur zu Giordano Brunos Zeiten um ihr Leben bangen.
Die verhängnisvolle Entwicklung der »Marxismen« (die mit Marx oft sehr wenig zu tun hatten und sich gegenseitig mitunter bis aufs Blut bekämpften) zeigt eindrucksvoll, dass der Atheismus (die Ablehnung des Gottesglaubens) dem Theismus (dem Glauben an »Gott« bzw. »Götter«) nicht notwendigerweise überlegen ist. Denn ob mit oder ohne »Gott«: Solange Menschen meinen, es gäbe »heilige«, d. h. für alle Zeiten unantastbare Aussagen, zu denen geistige oder politische Führer privilegierten Zugang haben, so lange sind Probleme vorprogrammiert. Das wussten die vorsokratischen Philosophen allerdings schon vor zweieinhalbtausend Jahren! Es wäre an der Zeit, dass sich dies langsam auch mal herumspricht …
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Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Ich habe das Gefühl, dass wir in unserem Gespräch über »Gott« etwas Wesentliches übersehen haben, nämlich die Frage nach einem Leben nach dem Tod! Ist es denn nicht so, dass viele Menschen nur deshalb an einen »Gott« glauben, weil sie es nicht akzeptieren können, sterben zu müssen? Und ist nicht diese Angst vor dem Tod und die Ungewissheit, ob danach nicht vielleicht doch noch etwas kommt, ein wesentlicher Grund dafür, dass so viele Menschen ihren Halt in der Religion suchen?
Das ist eine interessante Frage. Sie erinnert mich an eine Stelle in dem Buch »Confessiones« des »Kirchenvaters« Augustinus, die ich vor Kurzem noch einmal gelesen habe. Du musst wissen, dass Augustinus vor seiner Bekehrung zum Christentum ein ziemliches »Lotterleben« geführt hatte. In seinen »Bekenntnissen« berichtet er recht freimütig davon – und auch von dem Grund, warum er sich von der »fleischlichen Lust« letztlich verabschiedete. »Nichts hielt mich vom tiefern Abgrund der fleischlichen Lust zurück«, schrieb er, »als Furcht vor dem Tode und vor dem Gerichte. In dieser Furcht besprach ich mich mit meinen Freunden über das höchste Gut und das größte Übel, und hätte dabei dem griechischen Philosophen Epikur, der im Vergnügen das höchste Gut fand, den Preis zuerkannt, wenn ich nicht an ein anderes Leben und an eine Vergeltung nach dem Tode gedacht hätte, was
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